"Dschungel von Calais" wird teilgeräumt
Mit schwerem Gerät und unter Protest von Bewohnern und Hilfsorganisationen haben Bauarbeiter begonnen, einen Teil des "Dschungel von Calais" genannten Flüchtlingslagers abzureißen. Das Verwaltungsgericht in Lille hatte vergangene Woche den Abriss genehmigt. Kommentatoren werfen der Pariser Regierung undemokratisches Verhalten vor.
Französische Regierung missachtet Rechtsstaat
Von der angekündigten Behutsamkeit der Regierung kann beim Abriss des "Dschungels" keine Rede sein, kritisieren Wissenschaftler und Nichtregierungsorganisationen in der linken Onlinezeitung Mediapart:
„Wir müssen feststellen, dass die begonnene Räumung alles andere als schrittweise und human verläuft und dass sie keine Rücksicht auf die Lage der Menschen nimmt: Alles spielt sich so ab, als ginge es darum, diejenigen zu bestrafen, die nach Großbritannien gelangen wollen. ... Nun fallen die Masken. ... Die Justiz hat der Regierung nicht die Erlaubnis erteilt, die Flüchtlinge zu verjagen. Von überall werden Forderungen laut, die Aufnahme von Menschen zu organisieren, die aus ihrem vom Krieg heimgesuchten, verwüsteten Heimatland vertrieben wurden. Diese Stimmen werden nicht verstummen. Man sollte ihnen Gehör schenken. Erinnern wir daran, dass Asyl ein Recht ist und dass die Repression von Flüchtlingen dementsprechend einer Verleugnung der Demokratie gleichkommt.“
Calais offenbart Frankreichs Ohnmacht
Die französischen Behörden haben in der Flüchtlingskrise kläglich versagt, kritisiert der Filmemacher Nicolas Klotz in einem Gastbeitrag für die linksliberale Tageszeitung Libération:
„Gibt es in Frankreich nichts anderes als Repression, Polizeigewalt, Hass und Ängste? … Wie soll man den Flüchtlingen erklären, dass die französische Polizei diese Drecksarbeit für die englische Polizei macht? Dass England sie nicht will? ... In Frankreich haben die Scheinheiligkeit der Regierung, das Durcheinander, die gezielt verbreiteten Falschmeldungen der Kommunikationsbeauftragten, die pure Gewalt, die Angst und die Abschottung ein derartiges Ausmaß erreicht, dass man sich fragen muss, wie in den kommenden Monaten eine allgemeine Eskalation verhindert werden kann - wenn nicht durch eine echte europäische Initiative von historischer Dimension.“
EU muss zur Vernunft zurückkehren
Die EU-Staaten müssen Entscheidungen in der Flüchtlingskrise gemeinsam treffen und umsetzen, fordert die liberale Tageszeitung Le Soir:
„Man kann die Franzosen mit Calais nicht allein lassen. Und das gilt für alle anderen Krisenorte in Europa, wo deutlich wird, dass ein Zaun keine endgültige Lösung darstellt, sondern nur Hass, Ablehnung und Verteufelung nach sich zieht. Der Zaun wird als eine Atempause betrachtet. Das ist jedoch eine Illusion. Nur gemeinsame Entscheidungen der europäischen Regierungen und Entschlossenheit bei der Umsetzung der Lösungen können die Durchreise für alle - für die Flüchtlinge ebenso wie für die betroffenen Länder - erträglich machen. Dies erfordert harte Arbeit und verlangt von den Regierenden, dass sie populistische Äußerungen unterlassen und eindämmen. Außerdem müssen sie gemeinsam die Mechanismen verteidigen, die auf Vernunft beruhen und nicht instinktgeleitet sind.“