Ist Mays Draht zu Trump gefährlich für die EU?
US-Präsident Donald Trump und Großbritanniens Premierministerin Theresa May haben in Washington die Gemeinsamkeiten ihrer Länder betont. Trump kündigte an, dass der Brexit "fantastisch" werde. May hob die Bedeutung eines bilateralen Handelsabkommens hervor. Kommentatoren glauben, dass der Besuch der Britin vor allem ein Warnsignal an die EU senden sollte.
Lockruf für weitere Austrittskandidaten
Trumps Ankündigung, er wolle May helfen, den Brexit zu "einem großen Erfolg" zu machen, könnte andere EU-Länder zum Austritt bewegen, meint Christian Unteanu auf seinem Blog bei Adevărul:
„Die Botschaft von Trump ist einfach und deutlich: Die Handelsabkommen zwischen beiden Ländern sind auch nach dem Brexit noch wirksam. ... Die Gespräche drehten sich zudem um eine Abschaffung der Zollgebühren für den Export britischer Lebensmittel und Agrarprodukte in die USA und um die gegenseitige Anerkennung von Berufsabschlüssen. ... Geht es hier allein um die Beziehung zwischen Großbritannien und den USA? Oder auch um die Botschaft, dass die Absprachen zwischen Washington und London als Präzedenzfall für andere Länder dienen könnten, die aus der EU austreten wollen? ... Könnten solch bilaterale Abkommen für jene Länder eine vorläufige Zuflucht sein, die nach einem Austritt ein schnelles wirtschaftliches Überleben verhandeln wollen?“
Neuer Trumpf in Brexit-Verhandlungen
May hat beim Treffen mit Trump eine klare Botschaft nach Brüssel gesandt, erläutert der Schriftsteller und Historiker Sergio Romano in Corriere della Sera:
„Theresa May hat in Washington versucht, Brüssel zu zeigen, dass Großbritannien Trümpfe in der Hand hat, über die die Länder der EU nicht verfügen. ... Sie hat sich, was die Beziehung zu Putin und das Einreiseverbot für Personen aus muslimischen Ländern betrifft, zwar von Trump distanziert. Doch hat sie ihm implizit die Rolle zugesprochen, die die Vereinigten Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg in der internationalen Politik hatten. Die Botschaft für Brüssel und die anderen Hauptstädte der EU ist unmissverständlich: Nur Großbritannien kann bewirken, dass Trump weniger unvernünftig handelt und die euro-atlantische Solidarität wieder aufbauen. ... Natürlich hat dieses schicksalhafte Eingreifen Londons seinen Preis. ... Die Europäer werden ihn dann zahlen müssen, wenn London fordert, dass einige der im Rahmen der Union zugestandenen Privilegien erhalten bleiben.“
Regierungschefin könnte zum Schoßhündchen werden
Die britische Premierministerin braucht dringend gute Beziehungen zum neuen US-Präsidenten, erklärt die Süddeutsche Zeitung:
„Für May ist es essenziell zu zeigen, dass Großbritannien auch nach dem Brexit mächtige Verbündete hat. Deshalb wollte sie rasch nach Washington, und deshalb wird sie dort alles tun, um Trump bei Laune zu halten. ... Als Problem für May könnte sich herausstellen, dass Trump weiß, dass sie ihn braucht. Dieses Wissen wird er in Verhandlungen über ein Handelsabkommen genüsslich zum Einsatz bringen. Doch May hat keine Wahl, durch den Brexit kann sie es sich nicht erlauben, Trump zu verprellen. Theresa May kann hart und bestimmt sein, und Angst hat sie vor dem Präsidenten sicherlich nicht. Dennoch besteht die sehr reale Möglichkeit, dass sie in Tony Blairs Fußstapfen tritt und zu Trumps Schoßhündchen wird. So oder so ist klar, dass die Beziehung zwischen diesen beiden Politikern eine ganz besondere wird.“
Missverständnisse von Anfang an
Auf eine Romanze beider Regierungschefs darf May wohl nicht hoffen, analysiert De Volkskrant:
„Die Brexit-Anhänger sehen den frühen Besuch von May bei Trump als einen Triumph, aber die Premierministerin ist gewarnt. Freund und Feind haben darauf hingewiesen, dass das Sabotieren des Welthandels Trumps höchstes Ziel ist. Der Welthandel, von dem die Briten sich so viel versprechen. ... May sprach die Hoffnung aus, eine freundschaftliche, einflussreiche Arbeitsbeziehung zu dem umstrittenen Präsidenten aufzubauen. Um ihren guten Willen zu zeigen, hat sie als Geschenk einen Quaich mitgenommen, einen schottischen Freundschaftsbecher, aus dem früher Whisky und Brandy getrunken wurde. Schade nur, dass Trump Anti-Alkoholiker ist.“
London setzt seit jeher aufs falsche Pferd
Auf ihrer Rede in Philadelphia hat May die historische Bedeutung der besonderen Beziehung zwischen Großbritannien und den USA betont. Ein krampfhafter Versuch, sich in Washington anzubiedern, findet der Schriftsteller Ian Buruma in Corriere della Sera:
„Die Äußerung von May verrät Verzweiflung, wenn nicht gar Panik. Die Entscheidung zu Gunsten des Brexit hat Großbritannien geschwächt. Das Pfund ist auf Talfahrt, die Banken schicken sich an, die City zu verlassen und die Partner der EU drohen, dem Vereinigten Königreich harte Bedingungen aufzuerlegen. ... Schon lange vor dem Brexit haben die Briten der EU gegenüber mehr als ambivalente Gefühle gehegt, und es vorgezogen, sich stattdessen an die 'besondere Beziehung' mit Amerika zu klammern. Statt also eine der bedeutendsten Mächte Europas zu werden, hat Großbritannien es beharrlich vorgezogen, die kleine Schwester Amerikas zu bleiben.“
May muss positiven Einfluss ausüben
Die britische Regierungschefin sollte beim Treffen mit Trump Gemeinsamkeiten betonen, um ihn auf ihre Seite zu bringen, rät The Times:
„Es wäre inakzeptabel, dass die Nato unter Trumps Aufsicht geschwächt wird oder dass Jahrzehnte des Fortschritts in Richtung globalen Freihandels rückgängig gemacht werden. May sollte das mit allem Nachdruck sagen. Sie kann ihre Erfolgschancen maximieren, wenn sie früh auf Gemeinsamkeiten hinweist. Großbritannien gibt zwei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung aus. London stimmt mit Trump überein, dass alle Nato-Mitglieder das Gleiche tun sollten. Großbritannien teilt überdies die Überzeugung, dass es beim langen Kampf des Westens gegen islamistischen Terrorismus einen Sieg geben muss. ... May hat die Chance, einen neuen direkten Draht ins Weißen Haus zu installieren und diesen zu nutzen, um die US-Unterstützung für die westliche Allianz gegen ein wiederauflebendes Russland und für freien Handel statt Protektionismus zu stärken.“