Merkel oder Schulz - wer macht das Rennen?
SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz stellt die Agenda 2010 auf den Prüfstand: Im Wahlkampf setzt er auf Korrekturen an der Sozialreform, die unter der rot-grünen Bundesregierung 2003 bis 2005 umgesetzt wurde. Unter anderem soll das Arbeitslosengeld länger gezahlt werden. Kann er damit Kanzlerin Merkel schlagen? Und welche Rolle spielt die Flüchtlingspolitik im Wahlkampf?
Platz für neue Ideen in Deutschland
Nach den Reformvorschlägen des SPD-Kanzlerkandidaten zur Agenda 2010 diskutiert Deutschland endlich nicht mehr ausschließlich über das Thema Zuwanderung, freut sich Financial Times:
„Ganz gleich, ob man Schulz' Vorschlägen nun zustimmt oder nicht, allein seine Bereitschaft das Thema anzusprechen ist begrüßenswert. Es gibt nach zwölf Jahren der von Angela Merkel geführten Regierungskoalitionen Platz für neue Ideen in Deutschland. Die Kanzlerin mag international Führungsqualitäten gezeigt haben, doch innenpolitisch hat sie in den vergangenen Jahren keine tiefgreifenden Reformen eingeleitet. Außerdem sollte die öffentliche Debatte von den giftigen Themen der Zuwanderung und Identität zu wirtschaftlichen Fragen übergehen, die zur öffentlichen Unzufriedenheit beitragen. Nur so können Europas Mitte-links-Parteien ihre Glaubwürdigkeit bei den Wählern der Arbeiterklasse wiederherstellen. Und nur so können sie sich als wirksame und ernstzunehmende Opposition neu erfinden.“
Schulz setzt auf rückwärtsgewandte Politik
Indem Schulz die soziale Gerechtigkeit zum großen Thema seines Wahlkampfs macht, will er wohl das Rad der Geschichte zurückdrehen, meint die Welt:
„Den Genossen geht es darum, wieder an die Macht zu kommen. Dass man dabei die hart erkämpfte internationale Wettbewerbsstärke und Zukunftsfähigkeit Deutschlands aufs Spiel setzt, sehen die SPD-Strategen nicht - oder es interessiert sie herzlich wenig. ... Doch die Bürger sollten erkennen, dass Schulz’ rückwärtsgewandte Politik nicht die Antwort auf die großen Herausforderungen dieser Zeit sein kann. Die Digitalisierung der Berufswelt und die Integration der Flüchtlinge erfordern mehr und keineswegs weniger Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. Schon mit dem Mindestlohn und den Verschärfungen bei der Zeitarbeit wurden in den vergangenen Jahren hohe Beschäftigungshürden errichtet. Schulz will, dass Deutschland diesen Weg weitergeht. In Italien und Frankreich, die seit Jahren nicht aus der Wirtschaftskrise kommen, kann man sich anschauen, wohin das führt.“
Merkels größter Makel
Die Gefahr für Merkel, nicht wiedergewählt zu werden, liegt weniger in der Popularität ihres Kontrahenten begründet, sondern in ihrer Flüchtlingspolitik, ist die Tageszeitung Lietuvos žinios überzeugt:
„Ihr Fehler war es, die Hunderttausenden Flüchtlinge aufzunehmen. Auch ihre bereits zwölf Jahre währende Amtszeit könnte ein Grund für ihre Niederlage werden. Die Deutschen sehen jeden Tag, wie sich Deutschland wegen der Flüchtlinge verändert. Allein, was der populäre Fernsehsender RTL zeigt: Es gab dort eine Reportage aus einer Kleinstadt in Norddeutschland, wo die Neuankömmlinge mehr Hilfe und größere materielle Unterstützung bekamen als die armen arbeitslosen Bürger. … Von solchen Beispielen gibt es immer mehr und viele Wähler empören sich darüber. Ob sie Merkel für eine vierte Amtszeit in dem größten EU-Land unterstützen werden?“
Berlin bleibt Fels in populistischer Brandung
Für Jutarnji List hingegen zeigt die Popularität von Schulz, dass nicht ihre Flüchtlingspolitik zum Hindernis für Merkel wird:
„Europa muss sich über den Wahlausgang in Deutschland keine Sorgen mehr machen. Das war bis vor kurzem anders, denn Merkels Popularitätsverlust nutzte der extremen Rechten. Die xenophobe und antieuropäische AfD wurde stärker, je schwächer die CDU und Merkel wurden. Aber mit der Kandidatur von Schulz kam es zum Umschwung. Die Popularität der AfD geht zurück und die Sozialdemokraten gewinnen immer mehr an Zuspruch. Selbst wenn die antieuropäische und xenophobe Option Stimmen zulegen könnte, würden sich die beiden größten Parteien, CDU und SPD, vereinen, um wie bisher im Interesse Deutschlands und ganz Europas gemeinsam zu regieren. Nun zeigt sich auch, dass nicht die Willkommenskultur Merkel geschadet hat, denn auch Schulz vertritt eine liberale Politik gegenüber Ausländern und Migranten. Konsens herrscht ebenso über die Zukunft der EU. Wie beruhigend!“