Kann der EU mit Macron ein Neubeginn gelingen?
Frankreichs neuer Präsident Emmanuel Macron setzt auf eine Reform der EU und will unter anderem ein bürgernäheres Europa und eine Stärkung der Eurozone inklusive eigenem Wirtschaftsminister sowie Eurobonds. Viele Kommentatoren trauen Macron durchaus zu, eine grundlegende Reform der Union einzuleiten, andere zeigen sich skeptischer und erkennen bereits Widerstand aus Berlin.
Wahlsieg als Ansporn für kluge Politik
Svenska Dagbladet sieht mit Macron neue Chancen für eine geeinte EU:
„Man kann sich durchaus ein Europa mit einer gestärkten nationalen Selbstbestimmung vorstellen, ohne dass dies der Globalisierung zuwiderläuft. Nationalismus steht nicht im Gegensatz zu Freiheit und Offenheit, der Nationalstaat ist vielmehr eine historische Voraussetzung für die europäische Demokratie. ... Man sollte nicht die Bedeutung unterschätzen, die die Wahl in Frankreich als Ansporn für all jene hat, die sich seit geraumer Zeit dem Druck protektionistischer Kräfte widersetzen, in Schweden wie auch anderswo in Europa. ... Wir können nur hoffen, dass Macrons Präsidentschaft ein Erfolg wird, der vielen guten Entwicklungen den Weg bereitet. Größer als zuvor scheint nun die Möglichkeit, dass man Problemen mit einer klugen Politik begegnen kann, die den Wert von Souveränität ebenso wie von Zusammenarbeit betont.“
Schon gibt es Widerstand aus Berlin
Noch ist der Jubel in Europa über Macrons Sieg nicht verklungen, da zieht Deutschland schon erste Leitplanken ein gegen Reformpläne des neuen französischen Präsidenten, konstatiert Lidové noviny:
„Aufhebung der Reglementierung auf dem Arbeitsmarkt? Dieser Plan Macrons trifft auf Beifall. Aber ein Finanzministerium für die Eurozone, ein gemeinsames Budget und das gemeinsame Eintreten für die Schulden anderer Staaten? Hier bremsen die Deutschen die Pferde aus. CDU-Finanzexperte Jens Spahn sagt: 'Weder die Eurozone noch Frankreich leiden an zu wenig Schulden.' Über Deutschland spricht er nicht. Das hat auch keine Schulden, sondern einen Überschuss, es profitiert vom Euro, Frankreich verliert mit ihm. Macron will das durch Solidarität ausgleichen. Berlin dagegen drängt auf die Solidarität in der Flüchtlingsfrage, will von Schuldensolidarität nichts hören. Leicht zu erraten, welchen Kurs die deutsch-französische EU-Lokomotive nehmen wird.“
Jetzt gilt es, nicht den Anschluss zu verlieren
"Eurozone oder Tod" – in einem so betitelten Kommentar schreibt Bogusław Chrabota, Chefredakteur der Rzeczpospolita, dass Macron wahrscheinlich eine stärkere Integration des Euroraums durchsetzen werde und Polen an den Rand gedrängt zu werden droht:
„Die Flucht nach vorne ist die einzige Chance für die Verteidiger der europäischen Idee. Ein stärkeres Frankreich wird Deutschland zwingen, Mechanismen für eine stärkere Integration [der Eurozone] einzuführen und die Spaltung der EU in ein Zentrum und eine Peripherie wird Realität. Polen ohne den Euro, im Gegensatz zu seinen Nachbarn im Westen, Norden und Süden, wird am Rand bleiben und langsam zu einem Reservoir für Arbeitskräfte verkommen. … Indem wir den Euro einführen, beseitigen wir die für die Wirtschaft selbstmörderischen Kursschwankungen und die Wechselgebühren. Und wir finden uns im harten Kern der EU wieder. Über die Zukunft des Kontinentes werden wir mitentscheiden anstatt auf die gnädigen Entscheidungen anderer zu warten. Vilnius, Riga, Tallinn und Bratislava haben schon entschieden. Jetzt ist es Zeit für Warschau.“
Europa muss jetzt demokratisiert werden
Die EU braucht mehr demokratische Legitimation, erklärt die taz und lobt, dass Macrons Ansätze hier in die richtige Richtung gehen:
„Macron hat Vorschläge gemacht. Er wünscht sich für die Eurozone ein eigenes Budget, eine gemeinsame Wirtschaftsregierung und die Stärkung des europäischen Parlaments. ... Das bedeutet in diesem Zusammenhang den Wunsch nach einer Stärkung der parlamentarischen Ebene innerhalb der EU. Also zum Beispiel die Forderung, das Europäische Parlament müsse künftig auch von sich heraus Gesetze auf den Weg bringen dürfen. ... Der Balanceakt, den die EU bestehen muss: den nationalen und regionalen Ebenen weiterhin so viel Zuständigkeiten zu erhalten, dass sie nicht als bloße Marionetten von Brüssel erscheinen. Und zugleich die europäischen Institutionen zu demokratisieren. Wenn man das ernst nimmt, dann bedeutet es einen Machtverlust für Regierungen der Nationalstaaten. Wenn man das nicht ernst nimmt, dann bedeutet es - über kurz oder lang - ein Ende der EU.“
Ohne Berlin ist nichts zu bewegen
Dass Frankreichs neuer Präsident für die von ihm angestrebten Reformen der EU ganz stark auf die Zusammenarbeit mit der Regierung in Berlin angewiesen ist, erläutert Der Standard:
„Ob Macron die EU-Lähmung durchbrechen können wird, hängt ganz davon ab, wie sich das politische Umfeld in der Union entwickelt, insbesondere mit den Wahlen in Deutschland im Herbst. Die Lage in Berlin wird stabil bleiben. Offen ist jedoch, ob sich nach den Wahlen eine neue Regierung bildet, die auch in Bezug auf Europa von einer reformfreudigen Kanzlerin oder einem Kanzler geführt wird. Tatsache ist: An Berlin sind bereits drei französische Präsidenten mit ihren Vorstellungen einer reformierten EU gescheitert. Zudem tritt Macron unter erschwerten Bedingungen an: Bis März 2019 wird der Brexit das große Thema sein.“
Kein Sieg für die EU
Zwar hat Macron die Wahl mit einem pro-europäischen Diskurs gewonnen, doch sieht Eric Bonse auf seinem Blog Lost in Europe darin kein Zeichen, dass die EU bei den Menschen wieder beliebter wird:
„Nie gab es so heftige Attacken gegen die EU-Politik und die Globalisierung wie in diesem Wahlkampf. Nie waren die EU-Kritiker auf der Linken und die EU-Gegner auf der Rechten stärker. Die Unzufriedenheit trifft nicht nur Brüssel, sondern auch Kanzlerin Merkel in Berlin. Die Mehrheit der Franzosen hegt Vorbehalte gegen Deutschland und das 'deutsche Europa', warnt der Politologe H. Stark. Dennoch will Macron nun auf Merkel zugehen, statt sie herauszufordern, wie dies der scheidende Präsident Hollande (vergeblich) versucht hatte. Dies ist eine kluge, aber auch riskante Taktik. ... Die EU hat nicht gewonnen - sie ist mit einem blauen Auge davon gekommen. Nur wenn Brüssel und Berlin nun auf Macron zugehen und ihre Politik ändern, kann Europa wirklich aufatmen.“
EU sollte sich jetzt nicht ausruhen
Wenn die EU jetzt nur erleichtert aufatmet und dann zurück in die Starre fällt, bleibt die Freude über Macrons Sieg von kurzer Dauer, prophezeit der spanische Diplomat Carles Casajuana in El País:
„Aus europäischer Sicht lässt eine Analyse der Ergebnisse der französischen Präsidentschaftswahl keinen Zweifel. Der Sieg von Emmanuel Macron ist ein Sieg des Internationalismus über den Populismus, der Kosmopoliten über den Fremdenhass, der Befürworter eines offenen Frankreichs über diejenigen, die gegen Einwanderer und Freihandel die Türen verschließen wollen. Es ist ein Sieg des europäischen Projekts. ... Dennoch ist es noch lange kein endgültiger Sieg über den Populismus. Die hohe Zahl an Stimmen für den Front National lässt sich nur durch die Unzufriedenheit mit Europa erklären. So wie Macron erst vor ein paar Tagen erklärte: Die Europäische Union muss sich erneuern. Sonst bleibt der gestrige Sieg nichts als eine kurze Verschnaufpause.“
Polen darf nicht außen vor bleiben
Der Sieg Macrons wird zu einem Europa der zwei Geschwindigkeiten führen und Polen muss sich warm anziehen, meint Rzeczpospolita:
„Es ist an der Zeit, sich auf eine neue Europa-Strategie vorzubereiten. Als erstes müssen die Streitigkeiten mit Frankreich beendet und die diplomatischen Kontakte intensiviert werden. ... Eins ist klar: Die Verfestigung eines Europas der zwei Geschwindigkeiten mit Polen im Abseits wäre ein fundamentaler Fehler. Die Verantwortung verlangt: Wir müssen im harten Kern der EU bleiben. Sogar wenn wir dafür den Euro einführen oder uns wirtschaftlich stärker in die EU integrieren müssen. Wir können nicht zulassen, dass sich Warschau in der Peripherie Europas wiederfindet. Das würden uns unsere Kinder nicht verzeihen.“
Ultra-Nationalisten gestoppt
Entgegen aller Kritik an seiner Person sieht Hürriyet Daily News Macron als Hoffnungsträger für die Zukunft der EU:
„Der Sieg Macrons wird eine signifikante Entwicklung sowohl in Frankreich anstoßen, als auch in ganz Europa. Er hat die ultra-nationalistische Rechte daran gehindert, unter Le Pen an die Macht zu kommen, deren 'Frankreich den Franzosen'- und 'die EU ist tot'-Rhetorik die rücksichtslose Brexit-Kampagne in England wiederholt hat, die Großbritannien jetzt auf einen langen und bösen Kollisionskurs mit Brüssel gebracht hat. ... Kaum hatte er das Präsidentschaftsrennen angetreten, wurde Macron von Verfechtern der EU als jemand angesehen, der die europäischen Werte, die Demokratie und die Einheit retten wird. Aber nicht alle stimmen dem zu. Einige finden ihn zu unpolitisch, bezeichnen ihn als Neoliberalen, der die traditionellen Prinzipien der französischen Gesellschaft zerstören könnte. Andere finden ihn blass und zerbrechlich, ambitioniert, aber unzureichend.“
EU braucht starkes Frankreich
Auf ein Wiedererstarken Frankreichs innerhalb der Union hofft Iltalehti:
„Die Wahlbeteiligung war historisch gering, dennoch hat Le Pen vom Front National über elf Millionen Stimmen bekommen. Das ist so viel, dass dies nicht mit einem Schulterzucken abgetan werden kann. Viele Franzosen sind von der jetzigen Politik enttäuscht, nicht nur von der Einwanderungspolitik. Auch Macrons Wahl zeigt, dass die Franzosen einen Wandel wollten. Für Europa wäre es zu hoffen, dass der schwankende Riese Frankreich wieder auf die Beine kommt. Ansonsten wird Deutschlands Bedeutung für die Zukunft der EU, insbesondere nach dem Brexit der Briten, auf ein ungesundes Maß zunehmen.“