Hat Merkel die Bundestagswahl schon gewonnen?
Wahlsieg für die CDU, herbe Niederlage für die SPD: Angela Merkels Partei hat die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen mit 33 Prozent gewonnen. Die SPD als bislang stärkste Partei verlor knapp acht Punkte und erreicht nur noch 31,2 Prozent. Europaweit beschäftigen sich Kommentatoren mit der Abstimmung in Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland und sprechen ihr eine Signalwirkung zu.
Da weiß man, was man hat
Die Deutschen haben derzeit keine Lust auf Experimente, mutmaßt die Frankfurter Allgemeine Zeitung:
„Merkels Sieger-Satz von 2013 - 'Sie kennen mich' - bietet sich nach der Flüchtlingskrise zwar nicht unbedingt zur Wiederholung an. Doch denken offenbar vor allem ältere Deutsche beim Blick auf die Kanzlerin und die ziemlich gute Lage des Landes wohl immer noch an einen Werbeslogan für ein Vollwaschmittel: Da weiß man, was man hat. Auch bei diesem Waschpulver wusste natürlich kaum ein Kunde, was wirklich drinsteckte. Die Grünen würden anfügen: Und auch nicht, wie sehr es die Umwelt belastete! Doch die Wäsche war am Ende sauber, und das interessiert die Deutschen beim Waschen immer noch am meisten.“
Sozialdemokratie vor dem Debakel
Die Last auf den Schultern von Martin Schulz wird immer schwerer, beobachtet El País:
„Die dritte Niederlage in Folge sollte die deutschen Sozialdemokraten wachrütteln. Der Kontakt zu ihren Wählern scheint nicht zu gelingen, obwohl sie im März mit Martin Schulz einen neuen Anführer wählten. Der neue Sieg der Konservativen von Angela Merkel - diesmal in einer traditionellen Mitte-links-Hochburg - stellt die progressiven Kräfte bei der Bundestagswahl im September vor eine komplizierte Aufgabe. ... Und auch wenn Schulz mit Recht sagt, dass er kein Zauberer ist, lastet auf ihm nun mal die schwere Verantwortung, ein wahres Debakel abzuwenden für eine Partei und ein Gesellschaftsmodell, die für Deutschland und Europa nach dem Zweiten Weltkrieg eine bedeutende Rolle gespielt haben.“
Mutti ist die einzige Sicherheit
Der Sieg der CDU in NRW ist auch ein Sieg für Merkel, betont De Tijd:
„Merkel bleibt tatsächlich die Verkörperung von Standhaftigkeit und Ruhe in unruhigen Wahlkampfzeiten. ... Dennoch befindet sich auch die deutsche politische Landschaft in Bewegung. Die CDU ist nicht länger die allmächtige Partei und es ist denkbar, dass die SPD nach einer weiteren Niederlage nicht länger bei einer weiteren großen Koalition mitmacht. Und da liegt das Problem. Auch wenn die Zersplitterung der politischen Landschaft weniger schlimm ist als in anderen europäischen Ländern und die Bildung von Koalitionen in den deutschen Genen liegt, muss man noch abwarten, wie der Wähler im September die Karten mischen wird. ... Merkel wird wahrscheinlich ihre eigene Nachfolgerin als Kanzlerin werden. Aber wichtiger als je zuvor ist die Frage: Mit wem? Denn darauf geben die jüngsten drei Landtagswahlen keine Antwort. Die einzige Sicherheit ist 'Mutti'.“
Genau die Kanzlerin, die Europa braucht
Auch Sydsvenskan sieht Merkel gestärkt in die Bundestagswahl im Herbst gehen und glaubt, dass das gut für die EU ist:
„Unter europa- und weltpolitischen Gesichtspunkten kann man sich nicht darüber beklagen, dass Merkel einer weiteren Amtszeit als Bundeskanzlerin entgegengeht. Es sieht so aus, als werde sie eine noch wichtigere Rolle als bisher spielen. ... Merkel wird als Bremsklotz gebraucht, wenn Macron die EU in eine zu föderalistische Richtung treiben will. Auch was Russland betrifft, kann Angela Merkels Bedeutung kaum überschätzt werden. ... Und im Hinblick auf Trump. Zehnmal soll Trump nach einem separaten Handelsabkommen mit Deutschland gefragt haben. Und zehnmal soll Merkel geantwortet haben: 'Es gibt keine Absprache mit Deutschland, sondern nur mit der EU.' Eine Führerschaft solchen Kalibers ist genau das, was Europa braucht.“
EU der zwei Geschwindigkeiten ist besiegelt
Auch La Repubblica beschäftigt sich mit der Frage, welche Auswirkungen der Wahlsieg der CDU in Nordrhein-Westfalen letztlich auf Europa hat:
„Das Europa, das uns nach der Wahl in Deutschland im Herbst erwartet, wird in großem Maße eine Neuauflage dessen sein, was wir kennengelernt haben: Ein Europa, gelähmt von der ewigen Kraftprobe zwischen einem Norden, der den Ordoliberalismus predigt, und einem Süden, der schwankt zwischen Misstrauen und der Unfähigkeit, sich dieser markwirtschaftlichen Ordnung anzupassen. Wobei es einen zumindest theoretisch bedeutsamen neuen Faktor gibt: das Frankreich von Emmanuel Macron. … Mit dem vierten Sieg von Merkel bedeutet die Stärkung der deutsch-französischen Achse im Wesentlichen, dass auch Paris auf den Zug von Berlin aufspringt, zumindest was die Strategie der Wirtschaftspolitik betrifft. In einem Europa, in dem die zwei Geschwindigkeiten de facto offiziell geworden sind, wird der Zug sich so rasch wie möglich in Bewegung setzen und nicht auf Nachzügler warten, die an der Haltestelle Italien zurückgeblieben sind.“
Merkel siegt mit stoischer Ruhe
Kanzlerin Merkel hat genau das Richtige getan, als sie sich von Schulz demonstrativ nicht aus der Ruhe bringen ließ, analysiert NRC Handelsblad:
„Der 'Schulz-Effekt' verschleierte das Problem der SPD: eine tiefe Unsicherheit bezüglich der Frage, was sie eigentlich will. ... Nun ist nicht mehr zu leugnen, dass die gesamte Partei und ihr Anführer nach dieser Niederlage in ihrem wichtigsten Bundesland ein riesiges Problem haben. ... In den Monaten, als Schulz der Retter der SPD zu sein schien, behielt Merkel einen kühlen Kopf. Auch als in ihrer Partei die Panik zunahm und ihre Parteikollegen ihre abwartende Haltung kritisierten, regierte sie stoisch weiter - auf der Weltbühne aber auch in Berlin, mit unter anderem einer Verschärfung der Sicherheits- und Flüchtlingspolitik. Sie griff Schulz nicht an, sondern sie ignorierte ihn so weit wie möglich.“