Wie lange hält Mays Regierung?
Bei der vorgezogenen Wahl in Großbritannien ist die Rechnung für Premierministerin May nicht aufgegangen. Statt wie erhofft ihre Mehrheit vor den EU-Austrittsverhandlungen auszubauen, haben die Tories die absolute Mehrheit im Parlament verloren. Den Kommentatoren scheint May damit angezählt.
Die Königsmörder lauern schon
Theresa May wird mit ihrem Pyrrhussieg in die britische Geschichte eingehen, meint Kolumnist Ahto Lobjakas in Postimees:
„An May haftet der Geruch des Endes und in der konkurrenzgeprägten politischen Kultur Großbritanniens ist das fatal. Auch wenn sie nicht sofort zurücktritt, wird die konservative Partei May bei der nächsten Wahl nicht antreten lassen. Die Partei der Tories ist eine 'absolute Monarchie, die von Königsmördern geführt wird', schrieb ein ehemaliger Minister auf Twitter. Er meint, dass der nächste Bewerber May eher früher als später herausfordern wird. … David Camerons Entscheidung für ein Referendum über die EU Mitgliedschaft war dumm, aber ein notwendiges Spiel. May war nicht gezwungen, so zu handeln. Ihr Spiel war eine zynische Kalkulation.“
Schlechtes Omen für Brexit-Verhandlungen
Leider ist der Erfolg von Labour den Brexit-Verhandlungen nicht zuträglich, klagt La Repubblica:
„Wäre Großbritannien noch in der EU, wäre die politische Niederlage von Theresa May ein herrlicher Sieg für Europa. Da aber London von Brüssel aus gesehen nur mehr ein Partner ist, mit dem es hart zu verhandeln gilt, lässt die Aussicht auf ein 'hung parliament', in dem keine Partei eine klare Mehrheit erzielt, das Gespenst des Scheiterns noch wachsen, das über den Brexit-Verhandlungen schwebt. Ein klarer Sieg der Labour-Partei von Corbyn, der ihnen die Kontrolle des Unterhauses gesichert hätte, hätte die Karten neu gemischt und erlaubt, einen sanften Austritt des Vereinigten Königreichs auszuhandeln. Doch dies ist nicht der Fall. Der Erfolg von Labour zeigt zwar, dass sich die Phase des europhoben Populismus dem Ende zuneigt, doch droht er, Europa ohne einen zuverlässigen Gesprächspartner zu lassen.“
Großbritannien wird sich nicht beruhigen
Nach der Wahl spitzt sich das Drama um Großbritanniens EU-Austritt zu, konstatiert Aftonbladet:
„Die Frage ist, ob die Verhandlungen mit der EU in einer guten Woche mit einer im besten Fall schwachen britischen Regierung überhaupt beginnen können. ... Es ist schwer vorstellbar, wie eine Koalitionsregierung aussehen sollte. ... Wenn Corbyn nicht politischen Selbstmord begehen will, wird Labour niemals mit den Konservativen zusammen regieren, so wie Deutschlands Sozialdemokraten. ... Die beiden Parteien, die May die Bildung einer Minderheitsregierung ermöglichen könnten, sind jeweils beinhart gegen den Brexit eingestellt ... Die Stabilität, von der Theresa May heute Nacht sagte, dass das Land sie braucht, ist nicht einmal am Horizont sichtbar.“
Corbyn führt Labour zurück nach links
Unabhängig vom Ausgang der Regierungsbildung geht die linke Politik von Jeremy Corbyn gestärkt aus der Wahl hervor, beobachtet eldiario.es:
„Der britische Politikveteran Jeremy Corbyn wird in die Geschichte der Labour-Partei als derjenige eingehen, der die Organisation nach dem Rechtsruck unter Tony Blair wieder zurück zur Politik der Sozialdemokratie geführt hat. Zweimal von der Parteibasis bestätigt - erst im September 2015 und dann weiter gestärkt im Jahr 2016 - gelang es dem 68-jährigen Corbyn, seine traditionelle sozialistische Ideologie gegen den Widerstand eines Großteils seiner Fraktion und die Übermacht der konservativen Presse zu verteidigen. ... Weil Bürgernähe eben seine Stärke ist, blühte Corbyn während der Kampagne wieder auf, nachdem er anderthalb Jahre von der Presse verhöhnt worden war und seine eigenen Genossen im Parlament mehrmals versucht hatten, ihn abzusägen.“
Britische Demokratie neu belebt
Das Wahlergebnis zeigt, dass auch in Großbritannien traditionelle politische Denkmuster nicht länger gelten, analysiert The Daily Telegraph:
„Es kostet nicht länger Wählerstimmen, sich für Verstaatlichung einzusetzen, mit Terroristen zu verhandeln, vor einer interventionistischen Außenpolitik zu warnen oder eine Besteuerung der Reichen zu befürworten. Aus Sicht der Tories ist das entsetzlich, doch für Demokraten ist das eine gute Nachricht. Es bedeutet, dass alles möglich ist. War nicht genau das auch die Botschaft des Votums für den Brexit, der Wahl Donald Trumps und jener Emmanuel Macrons? Keine dieser Richtungsentscheidungen deutete auf eine globale Wählerbewegung nach links oder rechts hin. Sie zeigten vielmehr, dass die Dinge im Fluss sind.“