G20-Gipfel im Schatten der Gewalt
Nach den schweren Krawallen während des G20-Gipfels in Hamburg diskutiert die Politik, welche Lehren nun gezogen werden müssen. Bei den Protesten waren 186 Personen fest- und 225 in Gewahrsam genommen worden. Einige Medien kritisieren eine verharmlosende Berichterstattung. Andere bedauern, dass friedlicher Protest kaum beachtet wurde.
Wo bleibt die Demo unserer Träume?
Ratlos zeigt sich nach den Ausschreitungen in Hamburg der Nordschleswiger, der den nach eigenen Angaben letzten Marxisten im dänischen Parlament zitiert:
„Viele Aktionsformen beim G-20 Gipfel sind leider untergegangen. Greenpeace, Amnesty, die Gesellschaft für bedrohte Völker und viele Einzelpersonen haben bunt, kreativ und farbenfroh auf sich aufmerksam machen wollen. Doch leider hat fast niemand hingeschaut, da alles gebannt auf Wasserwerfer und Molotowcocktails starrte. Der 'letzte Marxist im Folketing' Chr. Juhl hat auf Facebook … die richtigen Worte gefunden: 'Wann schaffen wir Linken es, zu den Treffen der kapitalistischen Machthaber eine friedliche, fantasievolle Demo zu organisieren, um zu zeigen, wovon wir träumen und wofür wir kämpfen?'“
Medien wollen linke Gewalt nicht wahrhaben
Dagens Nyheter wundert sich mit Blick auf Hamburg, warum viele Medien offenbar auf dem linken Auge blinder sind als auf dem rechten:
„Die Unruhen in Hamburg wurden von den meisten Medien mit zurückhaltenden Worten beschrieben. ... [Der Radiosender] P1 nannte die Geschehnisse, bei denen 76 Polizisten verletzt wurden, unruhig. ... Eine gewalttätige Demonstration mit Rechtsextremen würde niemand unruhig nennen. ... Alle politische Gewalt, sei sie rechts, links oder religiös motiviert, ist in einer demokratischen Gesellschaft nicht hinnehmbar. Aufmerksam eine Seite zu beobachten, bedeutet nicht, dass die andere aus dem Auge gelassen werden kann.“
Wachsende Zweifel an Westeuropa
Die Bilder aus Hamburg verdeutlichen, weshalb sich die Einstellungen in den Visegrád-Staaten gegenüber Westeuropa wandeln, kommentiert das katholische Magazin Gość Niedzielny:
„Es gibt wohl keinen größeren Kontrast zwischen dem alten und dem neuen Europa, als die Bilder vom Besuch Donald Trumps in Warschau und dessen späterem Besuch in Hamburg. In Polen haben wir zufriedene Menschen gesehen, die die Ankunft des US-Präsidenten feierten. In Deutschland wütende Menschen, die die Stadt zerstörten. Diese Bilder zeigen, weshalb nicht nur in den Polen, sondern auch in Tschechien und Ungarn die Zweifel gegenüber Westeuropa wachsen.“
Sehnsucht nach einem guten Leben für alle
Die linke Tageszeitung Birgün zeigt Verständnis für die Krawalle in Hamburg:
„Während 20 Staatsoberhäupter in aller Seelenruhe von den auserlesensten Menüs der Welt kosten und in blütenweißen Laken friedlich schlafen, baden junge Menschen im Strahl der Wasserwerfer, ihre Augen tränen vom Pfefferspray. Alle Kinder dieser Welt, die für Freiheit sind, haben ein Anliegen: ein Leben in Gleichheit und Gerechtigkeit und fern jeder Ausbeutung. Es gibt eine Antwort auf die Frage, warum in Istanbul, Athen und Buenos Aires genauso wie in Hamburg insbesondere Bankautomaten zerstört oder die sündhaft teuren Autos der gehobeneren Bezirke angezündet werden: Wir setzen diese Welt, die nicht uns gehört, in Brand. Entweder wir gehören alle dazu oder keiner von uns.“
Kein Protest sondern Zerstörungswut
Die Bilder der Gewalt überlagern die Debatte um die Ergebnisse des Gipfels, fürchtet Mladá fronta dnes:
„Der Gipfel der Weltelite stand ganz im Schatten der Bilder des brennenden Hamburg und der Straßenkämpfer, die man verharmlosend Demonstranten nennt. Diese Bilder der Gewalt sagen sehr viel mehr über den Zustand des Westens aus, als die Ergebnisse des wenig durchschlagenden Gipfels. Die Gewalt wird gespeist aus einem Gefühl, ungerecht behandelt zu werden. Die Täter sehen diese Welt nicht als ihre Welt an. Ihr Wunsch ist nicht, etwas zu verändern, sondern zu zerstören. ... Merkel wollte zeigen, dass eine erwachsene Demokratie mit Kritik der Öffentlichkeit und abweichenden Meinungen umgehen kann. Am Ende kam es anders.“
Gefährliche Sympathie für Anarchos
Dass Deutsche für autonome Demonstranten Sympathien zeigen, ist für die Neue Zürcher Zeitung unverständlich:
„'Ganz Hamburg hasst die Polizei' skandierten 'Demonstranten' während ihrer Raubzüge durch die Stadt. Dass sie überhaupt auf die Idee kommen konnten, die Bevölkerung stehe hinter ihnen, war nicht völlig aus der Luft gegriffen. Wenn Grossmütter den Demonstranten viel Glück wünschen, wenn eine führende Tageszeitung noch am Freitag, nach der ersten Krawallnacht, nicht die Kriminellen, sondern die Polizei rügt, weil sie die Gewaltausbrüche angeblich provoziert habe, dann wird hier gefährlich mit Sympathien für Anarchisten gespielt. Doch was Anarchie in Wahrheit bedeutet, davon gibt Hamburg am Tag danach eine Ahnung: nicht Demokratie, sondern Rechtlosigkeit, Gewalt, Zerstörung.“
Eine Warnung für Schweden
Krawalle haben nichts mit einer demokratischen Veränderung der Gesellschaft zu tun, erinnert Aftonbladet:
„Wenn Aktivisten Gewalt anwenden, um ihre politischen Ziele zu erreichen, wenn sie Menschen verletzen und Eigentum zerstören, haben sie den demokratischen Dialog verlassen. Dann hat die Gesellschaft das Recht und die Pflicht sich zu verteidigen. Der Sozialismus oder die utopische Gesellschaft werden nicht auf zerstörten Schaufenstern und brennenden Autos aufgebaut. Gewalt erzeugt nur noch mehr Gewalt. Hamburg war eine Warnung. Im November ist Göteborg Gastgeber eines EU-Gipfels für Jobs und Wachstum. Die schwedischen Behörden müssen dann deutlich besser auf das vorbereitet sein, was passieren kann, als die deutschen.“