Tourismus als sozialer Sprengstoff

In Venedig, Barcelona und Palma de Mallorca demonstrieren Aktivisten gegen immer mehr Besucher. Die mit dem Massentourismus einhergehenden Probleme wie Mietsteigerungen, Umweltverschmutzung und Lärm treiben sie zu kreativen Aktionen, aber auch zu Vandalismus. Nicht alle Kommentatoren stimmen in das Klagelied ein.

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Dnevnik (SI) /

Touristenschimpfe ist der neue Ausländerhass

Erst waren die Flüchtlinge das Feindbild, nun sind es die Touristen - Dnevnik empfindet ein Déjà-vu des Ausländerhasses:

„Sie sorgen für Gedränge, sind laut, sprechen nur Englisch oder andere unverständliche Sprachen, haben eine andere Kultur und respektieren nicht die unsrige, sind knauserig und unpassend gekleidet. Das ist nun über die Touristen zu hören. Bei den Flüchtlingen und Migranten konnte man seiner Seele zumindest Erleichterung verschaffen, indem man sagte: Geht dahin zurück, wo ihr herkommt. ... Bei ihnen wusste man, es sind nur eine Million und sie wollen alle nach Deutschland. Touristen gibt es in Europa mehr als 300 Millionen und sie wollen alle in den Süden. Ohne arbeitsuchende Migranten wird es nicht möglich sein, die verhassten Nichtstuer zu versorgen, die nichts anderes erwarten, als den ganzen Tag lang bedient zu werden.“

NRC (NL) /

Internationales Regelwerk muss her

Zu einer Regulierung des Phänomens Massentourismus ruft Louise Fresco auf, Professorin für Landwirtschaft, die in NRC Handelsblad schreibt:

„Der Tourismus ist ein Sektor, den wir nicht unreguliert wachsen lassen können. Genauso wie wir in den vergangenen 25 Jahren langsam gelernt haben, die Liberalisierung des Welthandels zu begleiten mit Maßnahmen, die sicherere Arbeitsbedingungen, Nahrungsmittelsicherheit und Umweltschutz garantieren, so werden wir auch Regeln für den Tourismus aufstellen müssen. Das wird nicht sehr populär sein. Aber ich denke, dass ein internationaler Vertrag für den Tourismus unvermeidlich ist.“

Kapital Daily (BG) /

Minister unterschreitet seine Kompetenzen

Bulgariens Vizepremier Waleri Simeonow hat lauter Musik in Touristenorten am Schwarzen Meer den Kampf angesagt. Mitten in der Hochsaison kontrolliert er persönlich in Begleitung der Polizei Restaurants, Bars und Diskotheken. Doch das ist nicht sein Job, kritisiert die Tageszeitung Kapital Daily:

„Die Aufgabe des Vizepremiers ist es nicht, nachts durch die Kneipen zu ziehen. Wenn er denkt, dass die Regeln nur eingehalten werden, wenn er persönlich anwesend ist, dann hat er nicht verstanden, wie der Staat funktioniert. Ordnung entsteht durch systematische, kontinuierliche und unvoreingenommene Kontrolle. Das Gesetz gilt für alle, egal ob Waleri Simeonow gerade vor Ort ist oder nicht.“

Haniotika Nea (GR) /

Kreta nicht den Touristen überlassen

Auch im kretischen Chania muss endlich etwas gegen den Raubzug des Tourismus unternommen werden, fordert die Regionalzeitung Haniotika Nea aus Kreta:

„Es besteht die Gefahr, dass die Altstadt ihren Charakter verliert, zum Beispiel durch den Bau neuer Hotels an monumentalen Orten, wie dem Kastelli-Hügel. An den Stränden von Balos, Elafonissi und Kedrodasos fragt man sich, wie lange diese unglaublichen Naturparadiese noch erhalten werden können, wenn kein Umweltmanagementplan umgesetzt wird. ... In Chania haben wir nicht kapiert, dass die Kulturerbe-Denkmäler und natürlichen Ökosysteme den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Wohlstand der Einheimischen bilden. Andere europäische Städte versuchen, in letzter Minute ihre einzigartigen Merkmale zu schützen. Und was tun wir?“

Pravda (SK) /

Bratislava verliert seinen Charme

Die Autorin Silvia Ruppeldtová bedauert in einem Gastbeitrag für Pravda, wie sehr die slowakische Hauptstadt ihren ursprünglichen Charakter verloren hat:

„Ich fühle mich in meiner Heimatstadt schon lange nicht mehr wohl. Bratislava ist ebenso von der Krankheit des dekadenten Wohlstands befallen, wie weit entfernte Touristenziele. ... Wie im Westen verschwinden auch hier unverwechselbare lokale Plätze und das authentische Leben dort. Statt Zigeunermusik hört man nur noch eine von Ausländern desinfizierte Form von 'Unterhaltung'. Die Zentren unserer Städte mögen aussehen wie ein Schmuckkästchen. Aber es fehlt ihnen zunehmend der 'Geruch des Lebens'.“

Magyar Nemzet (HU) /

Tourismus dringt in Budapester Wohnviertel vor

Auch Budapest leidet unter dem Massentourismus, besonders seit es den Unterkunftsvermittler Airbnb gibt, beschreibt Magyar Nemzet:

„Es ist immer öfter Teil des Budapester Alltags, dass Einwohner wegen lauten Touristen nicht schlafen können. Seit es die sogenannten Wohnungshotels gibt, die von den Wohnungseigentümern über Airbnb vermietet werden, steigen Touristen auch in der unmittelbaren Nachbarschaft vieler Budapester ab. ... Da besonders viele junge, feierwütige Touristen in die angesagte Partystadt Budapest strömen, birgt dieser Umstand inzwischen derartigen emotionalen Sprengstoff, dass dringend gehandelt werden muss. ... Wegen der zahlreicher werdenden Airbnb-Unterkünfte schrumpft in Budapest obendrein der normale Wohnungsmarkt. Und die Mietpreise werden zum Leidwesen der Einheimischen in die Höhe getrieben.“

Diário de Notícias (PT) /

Verrückt gewordene Tourismus-Gegner

Diário de Notícias blickt mit Unverständnis auf die Protestaktionen:

„Touristenbusse werden angegriffen, Reifen aufgeschlitzt, Plakate und beschmierte Wände machen mit Slogans gegen Touristen mobil. Die Europäer spinnen doch! Die Tourismusphobie findet immer mehr Anhänger - und offenbart die typische Blindheit derjenigen, die anscheinend nichts Besseres zu tun haben. ... Wie sonst ließe sich erklären, dass so viele, die sonst die Freiheit und die Achtung von Demokratie und Menschenrechte verteidigen, nun verhindern wollen, dass Menschen reisen, wohin sie wollen? Dass auf einmal die Demokratisierung des Tourismus als Plage empfunden wird?. ... Es fehlt nur noch, dass einige anfangen, sich nach den Zeiten zu sehnen, als das Reisen nur wenigen zugänglich war.“

La Vanguardia (ES) /

Reisende suchen nur noch Stoff für Facebook

Wir sollten das Reisen wieder neu entdecken, empfiehlt die stellvertretende Chefredakteurin von La Vanguardia, Lola García:

„Das Reisen ist zur Konsumgewohnheit einer ebenso hyperaktiven wie tödlich gelangweilten Gesellschaft geworden ... Während Marco Polo Handelsrouten öffnete, nutzte meine Generation den Urlaub immerhin noch zur Reflexion darüber, ob man sich zum Beispiel vom Partner trennen sollte. Aber der Tourist von heute hetzt im Eilmarsch durch die Zielorte und verlangt große Emotionen, mit denen er sein Facebook-Konto füllen kann. ... Reisen sind heute kein Impfstoff gegen Intoleranz mehr. Wir sollten das Reisen neu erlernen und dabei das Motto des [schottischen Autors Robert Louis] Stevenson beachten: 'Es gibt keine fremden Länder, fremd ist nur der Reisende'.“

Delo (SI) /

Zu feige für eine Obergrenze

Auch Slowenien muss sich damit auseinandersetzen, wie es den Tourismus im Land zukünftig gestalten will, mahnt Delo und schließt eine Begrenzung der Urlauberzahlen nicht aus:

„Die Zahl der Touristen zu evaluieren, ist wichtig, damit der Staat das einsammelt, was ihm zusteht und die Infrastruktur leichter instandgehalten und weiterentwickelt werden kann. Vor allem aber ist eine Evaluation wichtig, damit die Tourismusbranche erfährt, wann die maximale Aufnahmefähigkeit erreicht ist. ... Wird man in der Gemeinde von Piran [an Sloweniens Küste] beschließen, dass es sinnvoll wäre, die Zahl der Touristen zu begrenzen? Nein, weil sie keine Strategie haben, wie man so etwas macht. Sie wissen nicht, welchen Touristen der Vortritt gegeben werden soll und welcher Service ihnen geboten werden soll.“

Trends-Tendances (BE) /

Alle Jahre wieder

Das Thema Massentourismus wird nicht nur diesen Sommer die Gemüter erhitzen, glaubt Trends-Tendances:

„Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass die tourismuskritischen Töne zunehmen werden. Der Grund dafür? In Spanien, aber auch in Italien, Griechenland und Kroatien entwickelt sich der Tourismus sehr stark, da die Urlauber aus Sicherheitsgründen weniger nach Ägypten, Tunesien und in die Türkei reisen. So erklärt sich der Erfolg Südeuropas, der durch Lowcost-Airlines wie Easyjet und Ryanair noch gesteigert wird. Das Thema droht zu einem Kastanienbaum zu werden, wie [französischsprachige] Journalisten sagen. Das heißt, es wird wie der Baum jedes Jahr zur gleichen Zeit Blüte tragen. So wie wir es auch von anderen Themen kennen. Rückenschmerzen und dem Schulbeginn beispielsweise.“

Diário de Notícias (PT) /

Vorsicht vor dem vermeintlichen Goldesel

Der Fraktionschef des portugiesischen Linksblocks Bloco de Esquerda, Pedro Filipe Soares, warnt in Diário de Notícias vor einem naiven Streben nach immer höheren Touristenzahlen:

„In Portugal gilt der Tourismus derzeit als Goldesel. ... Doch diese Flucht nach vorn ist ein Fehler, den wir teuer bezahlen werden. ... Indem man den Tourismus bis zum bitteren Ende ausreizt, zerstört man genau das, was uns bisher einzigartig und attraktiv gemacht hat. ... Es ist endlich an der Zeit, die Großstädte für die Bewohner und nicht für die Touristen zu denken; eine Wohnungspolitik zu entwerfen, die sicherstellt, dass wir keinen Exodus aus den Stadtzentren erleben - und den Mut aufzubringen, den Touristenzustrom zu beschränken, nicht nur um die Zukunft der Branche, sondern auch die unserer Städte zu sichern.“

ABC (ES) /

Aufkleber auf Mietwagen sind nicht harmlos

Auf Mallorca bekleben linke Aktivisten Mietwagen seit Neuestem mit dem Slogan "Dieses Auto ist zu viel". ABC warnt, dass symbolische Drohungen in echte Gewalt umschlagen können:

„Es geht darum, jemanden mit einer Kennzeichnung zu verängstigen. Das kann heute ein Aufkleber oder ein Graffito sein, sich aber schon morgen in eine Zielscheibe verwandeln. Denn die extreme Linke ist gewalttätig und antidemokratisch. ... Die Fähigkeit dieser Gruppen, ihre Gewalttaten in den Städten mit einem sozialen Anstrich zu versehen, sollte Behörden und Öffentlichkeit nicht täuschen. Ihr Ziel ist es, Spaniens Grundpfeiler wie den gesellschaftlichen Frieden oder die nationale Wirtschaft zu erschüttern.“

Večernji list (HR) /

Der Tourismus frisst seine Kinder

Einst als wichtigste Devisenquelle gefeiert, bringt der Massentourismus längst mehr Schaden als Nutzen findet Večernji list:

„Es wird immer sichtbarer, dass der moderne Massentourismus ein ziemlich aggressiver Wirtschaftszweig ist, der in großem Maße die Umwelt verschmutzt, die Natur zerstört, den Ausstoß von Treibhausgasen erhöht, aber vor allem die Lebensart der Bewohner der Städte und Orte zerstört, die zum Ziel moderner Nomaden werden. Es ist schon zu Protesten und Rebellionen gekommen. Manche sind friedlich wie in Venedig, manche auch etwas aggressiver wie in Barcelona. ... Kurz gesagt, der Tourismus zerstört die Grundlage, auf der er aufgebaut wurde. Es ist nur eine Frage der Zeit bis sich die Eingeborenen organisieren und die Eindringlinge vertreiben werden.“

eldiario.es (ES) /

Einwohner ziehen den Kürzeren

Vor allem die steigenden Mietpreise machen deutlich, dass man die aus dem Massentourismus entstehenden Probleme nicht allein dem Markt überlassen kann, mahnt eldiario.es:

„Das Geld dient als Waffe in diesem ungleichen Kampf. Das bedeutet, dass Vermieter von Ferienunterkünften und ihre Kunden stets am längeren Hebel sitzen. Naivlinge, die in den Wohnungen einfach nur normal wohnen wollen, ziehen den Kürzeren. ... Am extremsten ist es auf den Balearen. Ärzte, Polizisten und andere Beamte oder selbst das Hotelpersonal finden auf Ibiza keine Wohnungen, die sie sich leisten können. Zimmer und sogar Balkone werden zu absurden Preisen vermietet. Stellen im Gesundheitsdienst oder bei der Polizei bleiben wegen fehlender Bewerber unbesetzt. Das sind gesellschaftliche Probleme, die von jenen ignoriert werden, die nur von den Vorteilen des Tourismus sprechen.“

Expresso (PT) /

Nur Statisten in der eigenen Stadt

Der Tourismus darf nicht mehr Menschen schaden, als davon profitieren, fordert Expresso:

„Wir dürfen nicht zulassen, dass Bewohner aus den Stadtzentren vertrieben werden, wie bereits in vielen Großstädten, die in regelrechte Hotels verwandelt wurden. ... Auch nicht, dass Lissabon und Porto ihren Charakter verlieren und als Themenparks enden. Warum? Nun, um die Nachhaltigkeit des Tourismus selbst zu gewährleisten - aber auch um sicherzustellen, dass wir nicht zu Statisten in unseren eigenen Städten werden. ... Wir brauchen multifunktionale und keine 'Postkarten-Städte', aus denen die hässlichen, aber für die Bevölkerung notwendigen Einrichtungen, verbannt werden. ... Wir brauchen den Tourismus, um zu überleben. Damit er aber nicht mehr Menschen Schaden zufügt, als davon tatsächlich profitieren, müssen Politiker endlich anfangen, langfristig zu denken.“

Phileleftheros (CY) /

Staat verschließt vor Ausbeutung die Augen

Auch Zypern rechnet dieses Jahr mit einem Touristenrekord. Phileleftheros macht auf die Schattenseiten für die Menschen aufmerksam, die damit ihr Geld verdienen:

„Unsere Hoteliers sind sehr glücklich, dass wir in Bezug auf die Touristenzahlen noch eine gute Saison erleben. … [Aber] je stärker der Tourismus wächst, umso intensiver wird die Ausbeutung der Arbeiternehmer in der Tourismusindustrie. Und der Staat schaut weg. Leider sehen wir immer noch Menschen, die von morgens bis abends in Badeorten und Hotels arbeiten und die Verletzung ihrer Tarifverträge und Arbeitszeiten tolerieren.“