Großbritannien: Cameron wird neuer Außenminister
Mit einer umfassenden Kabinettsumbildung versucht der britische Premier Rishi Sunak einen Neuanfang für seine schlingernde Regierung: Ex-Premier David Cameron wird Außenminister. Der bisherige Chefdiplomat James Cleverly wechselt dafür an die Spitze des Innenministeriums, aus dem die umstrittene Ministerin Suella Braverman ausscheidet. Europas Presse reibt sich vor allem an der Personalie Cameron.
Er wird das Ruder kaum rumreißen
Ein talentierter Minister betritt die Bühne, meint Der Standard:
„David Cameron mag am Brexit-Referendum gescheitert sein und außenpolitisch so manchen Fehler begangen haben. Doch im Vergleich zu dem Häuflein untalentierter Schreihälse, die durch den Brexit ins Parlament geschwemmt wurden, steht der smarte frühere PR-Mann weiter in der ersten Reihe britischer Politik. Der neue Außenminister wird seine Partei und Regierung gewiss beredt verteidigen. Nützen dürfte das den Konservativen wenig: Die Briten bleiben zum Wechsel entschlossen.“
Gemäßigter Flügel gestärkt
Das Brexit-Lager bei den britischen Konservativen ist mittlerweile stark geschwächt, meint RTE News:
„Das wäre in den Amtszeiten von Boris Johnson oder Liz Truss undenkbar gewesen. David Cameron ist ein Gemäßigter, der sich für den Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union eingesetzt hatte. Er hätte in keiner der vorherigen Regierungen einen Platz bekommen. ... Diese Entwicklung ist ein weiteres Zeichen dafür, dass der harte Rechtsaußen-Brexit-Flügel der Partei an Einfluss verloren hat. [Die nun entlassene] Suella Braverman war einst Spitzenkandidatin für den Parteivorsitz und einflussreiche Vertreterin der Brexit-Befürworter.“
Der Verlierer muss aufräumen
Um die Regierungspartei steht es offensichtlich schlimm, konstatiert Politiken:
„Ein deutlicheres Zeichen für die Krise der britischen Konservativen dürfte es kaum geben. David Cameron führte Großbritannien als Premier zu dem Referendum, das 2016 in einen schmerzlichen Brexit mündete. ... Nun ist er also zurück an der Spitze der britischen Politik, mit all der Glaubwürdigkeit, die ein Politiker verdient, der einst alles auf eine Karte setzte - und verlor. ... Eine Art höhere historische Gerechtigkeit ist, dass Cameron nun Mitverantwortung dafür tragen muss, im von ihm hinterlassenen Schlamassel Ordnung zu schaffen. Nicht zuletzt muss er versuchen, den Schaden zu begrenzen, der infolge der gekappten Verbindungen zur EU entstanden ist.“
Eine Verzweiflungstat
Die Entscheidung verdeutlicht die Ratlosigkeit der Tories, urteilt La Libre Belgique:
„Um es höflich auszudrücken: Niemand hat Cameron seit seinem Rückzug aus der Politik vermisst. Er kehrt im Rahmen des Spiels 'Reise nach Jerusalem' zurück, das wegen der Entlassung von Innenministerin Suella Braverman gespielt wurde, deren Handeln und Worte sich durch das völlige Fehlen von Empathie sowie durch Bösartigkeit - das Wort ist bewusst gewählt - gekennzeichnet waren. Mit der Ernennung David Camerons zum Außenminister versucht Rishi Sunak, die Glaubwürdigkeit seiner Regierung im In- und Ausland zu stärken. Dass er diesen unerwarteten Joker aus dem Ärmel zieht, dessen Prestige verblasst und dessen Glaubwürdigkeit sehr gering ist, zeugt vor allem von der Verzweiflung der britischen Konservativen.“
Schlechte Note in Außenpolitik
Nicht nur mit dem Brexit-Poker ist Cameron als Premier gescheitert, bilanziert Financial Times:
„Das von ihm initiierte Brexit-Referendum, von dem er glaubte, dass er es gewinnen könnte, entpuppte sich als Fehlschlag historischen Ausmaßes. Auch außenpolitisch kann Cameron kaum Erfolge vorweisen. Die von ihm unterstützte Intervention in Libyen im Jahr 2011 brachte das Land an den Rand des völligen Scheiterns als Staat. Er agierte gegenüber China zu moderat – in seiner Partei wird es nun als wachsende Bedrohung gesehen. Und nach seinem Ausscheiden aus dem Amt führte Camerons Lobbyarbeit für die Finanzfirma Greensill Capital dazu, dass ihm ein schwerwiegender Mangel an Urteilsvermögen vorgeworfen wurde.“
Dieser Politiker gehört in die Vergangenheit
Cameron sollte wissen, wann Schluss ist, meint Mediapart:
„Warum wird nicht ein Schlussstrich unter diesen ausrangierten Politiker gezogen, der sein Land dazu brachte, ein neues Kapitel aufzuschlagen? Die Rückkehr des 57-jährigen David Cameron, der gefühlt in ein anderes Jahrhundert gehört, wirft Fragen auf. Dies gilt umso mehr, als dass der Politiker seit nunmehr über sieben Jahren in lukrative Geschäfte, insbesondere mit bestimmten chinesischen Geschäftskreisen, verwickelt ist.“
Wiedereinstieg auf niedrigerem Posten
Auch Deník N reibt sich verwundert die Augen:
„Es ist das erste Mal seit dem Zweiten Weltkrieg, dass ein britischer Ex-Premier - einst die mächtigste Person des Landes - als Minister, also in einer untergeordneten Position, in die Regierung zurückkehrt. Wir werden sehen, wie eine solche Kräfteverteilung im Kabinett Sunak funktionieren wird. Der Premierminister hat noch mehr dieser Änderungen vorgenommen – die sogenannte Umbildung oder Neuordnung – und einige davon waren für die Briten ziemlich überraschend. Einige sogar für die gestürzten Minister selbst.“