Ein Jahr nach den Erdbeben in der Türkei und Syrien
Heute vor einem Jahr erschütterten schwere Erdbeben die Türkei und Syrien. Mindestens 60.000 Menschen verloren ihr Leben. Hunderttausende leben noch immer in Containern und Zelten. Der türkische Präsident Erdoğan hatte schnelle Wiederaufbauhilfe versprochen. Wie weit es damit her ist, wird sehr unterschiedlich beurteilt.
Erdoğan erpresst die Opfer
Dass der türkische Präsident für Wiederaufbauhilfe Stimmen bei den kommenden Wahlen fordert, empört Karar:
„Eigentlich sollte der größte Teil der Hilfe dorthin gehen, wo die Zerstörung am größten ist, oder? Doch leider war dies beim Erdbeben nicht der Fall. Hatay erhielt von der Zentralregierung nicht die notwendige Hilfe und Unterstützung in dem Maße, das es verdient hätte. ... Der Staat ist Erdoğan, der Staat ist die AKP. Und der Staat versagte bei dem Erdbeben, konnte seine Bürger nicht erreichen, konnte ihre Wunden nicht heilen. ... Daher sagt Erdoğan allen Wählern in Hatay ganz offen: 'Wir haben die Zentralregierung. Wenn ihr nicht für unsere Kandidaten auf lokaler Ebene stimmt, werdet ihr keine Dienstleistungen erhalten.'“
Jedes Lager hat seine eigene Wahrheit
Raphael Geiger, Türkei-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, sieht die türkische Gesellschaft vollkommen gespalten in der Wahrnehmung:
„Das Ankara Institute [türkischer Thinktank] hat untersucht, wie Anhängerinnen und Gegner Erdoğans dessen Krisenmanagement sehen: 96 Prozent der Oppositionswähler fanden es schlecht, 90 Prozent seiner Anhänger waren zufrieden. ... Auch in der Erdbebenregion war das so. In dem einen Dorf klagten sie, dass der Staat sich kaum habe blicken lassen; in dem anderen dankten sie dem Präsidenten für seine Hilfe. ... Das Erdbeben hat Zehntausende Menschen getötet, hat Millionen vertrieben, aber die Echokammern der türkischen Gesellschaft, sie hielten stand.“
Unsere Städte müssen erdbebensicher werden
Im Wahlkampf zu den Kommunalwahlen im März spielt die Erdbebenvorsorge eine wichtige Rolle, meint Milliyet:
„Viele unserer Provinzen, insbesondere Istanbul, sind mit der Realität und der Gefahr von Erdbeben konfrontiert. ... Man redet davon, dass Istanbul stark betroffen sein wird und nach offiziellen Angaben 16 Millionen Einwohner gefährdet sind. ... Deswegen wird bei den anstehenden Kommunalwahlen die Antwort auf die Frage, wer die Erdbebenregionen wieder aufbaut, ebenso wie die Frage, wer die Städte widerstandsfähig gegen Katastrophen macht, ausschlaggebend an den Urnen sein.“