Assange: Warum ist diese Entscheidung so wichtig?
In London findet derzeit die womöglich entscheidende Anhörung im Fall Julian Assange statt: Der High Court prüft, ob er gegen die Entscheidung für seine Auslieferung vom vergangenen Juni in Berufung gehen darf. Sollte dies abgelehnt werden, ist der Rechtsweg in Großbritannien ausgeschöpft. Assanges Unterstützer haben angekündigt, in diesem Fall vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu ziehen.
Kein Superheld der Pressefreiheit
Die Süddeutsche Zeitung hält nichts davon, Assange zu einem politischen Opfer zu stilisieren:
„Assange wird nicht wegen der Verbreitung von Geheimdokumenten angeklagt, sondern wegen Anstiftung und Beihilfe zu Datendiebstahl. ... Selbst aber, wenn der Fall nach Maßstäben der Meinungsfreiheit bewertet würde, müsste das Urteil differenzierter ausfallen, als es den Aktivisten um Assange lieb sein kann. Die Publikation von einer Viertelmillion Datensätzen hält keinem Vergleich stand, in ihrer Maßlosigkeit und Radikalität widerspricht sie allen journalistischen Grundsätzen. ... Assange ist letztlich nicht der Superheld der Pressefreiheit, sondern ein Aktivist.“
Es geht nicht um Heroismus, sondern um Schutz
Assange steht stellvertretend für viele verfolgte Whistleblower, konstatiert Le Soir:
„Der Schutz von Whistleblowern muss hochgehalten werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie das Zeug zum Helden haben oder nicht. Denn oftmals werden diese Männer und Frauen eher von der Justiz belangt als die Verantwortlichen für die Missstände, die sie anprangern. Um sie zum Schweigen zu bringen, wird gerne das Geschäfts- oder Militärgeheimnis angeführt. In Portugal wurde Rui Pinto, der die Football Leaks initiiert hatte, inhaftiert. Auch die luxemburgische Justiz verfolgte die Whistleblower von LuxLeaks. In Frankreich wurden kürzlich Journalisten von den Geheimdiensten verhört, weil sie militärische Geheimnisse preisgegeben hatten (z. B. solche, die das US-Militär lieber verheimlicht hätte).“
Es geht um Grundpfeiler der Demokratie
El País verteidigt den investigativen Journalismus in Zeiten von Fake News:
„Die Schikanen, denen Julian Assange ausgesetzt ist, gehen über die Verfolgung eines angeblichen Verbrechens der Weitergabe von Geheimnissen durch Washington hinaus. Sie stellen eine eindeutige Form der Einschüchterung der Medien und ihrer Quellen dar. ... In London steht heute viel mehr auf dem Spiel als die Auslieferung einer Privatperson, die eines Verbrechens beschuldigt wird. Es geht um eine seriöse und unabhängige Form des Journalismus in einer Zeit der Lügenkonstrukte, Falschmeldungen und alternativen Realitäten. Und damit um zwei Grundpfeiler der Demokratie: die Pressefreiheit und das Recht auf Information.“
Endlich für Gerechtigkeit sorgen
Der Fall Assange steht auch dafür, warum Worte wie Pressefreiheit und Rechtsstaatlichkeit in weiten Teilen der Welt einen schalen Beigeschmack bekommen haben, hebt die Welt hervor:
„[D]urch die Kriegsverbrechen der USA im Irak und Afghanistan, die er als Wikileaks-Gründer aufgedeckt hat. Und durch den Rachefeldzug der US-Behörden gegen den Überbringer der Botschaft, bei dem sich die britische und die schwedische Justiz - Stichwort: fingierte Vergewaltigungsvorwürfe - zu Handlagern degradieren ließen. ... [E]s liegt in der Hand des Londoner Gerichts, ihm endlich Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Und zu beweisen, dass Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit keine Propagandalüge sind, wie Putin und seine Anhänger in Deutschland und anderswo glauben.“
Rein politischer Natur
Il Manifesto beklagt Doppelmoral:
„Der 52-jährige Assange ist Journalist, und seine Auslieferung an die USA (sprich Verurteilung) wäre ein schädlicher Präzedenzfall für die Pressefreiheit in den so genannten liberalen Demokratien, die sich wegen des schrecklichen Schicksals von Alexej Nawalny so lautstark empören. … Assange ist seit fünf Jahren im Belmarsh-Hochsicherheitsgefängnis inhaftiert, in einer winzigen Zelle in einem alptraumhaften Gefängnis. … Journalisten wurden zur Anhörung zugelassen, aber ohne jedes technische Hilfsmittel, um ihre Arbeit zu verrichten. Sie konnten die Anhörung nur mit Mühe verfolgen. Was klar macht, dass Londons Eifer, diesen lästigen Gefangenen loszuwerden, rein politischer Natur ist.“
Präzedenzfall für Londons Positionierung
Ganz gleich, wie die Richter entscheiden, wird der Fall politische Auswirkungen haben, prophezeit The Spectator:
„In erster Linie natürlich für die Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und den USA, aber möglicherweise auch für die Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und dem EGMR. Ist dies der Zeitpunkt, an dem es das Vereinigte Königreich endlich wagt, sich im Interesse seiner 'besonderen Beziehungen' zu Washington über den Gerichtshof in Straßburg hinwegzusetzen? Und würde das London ermutigen, sich erneut gegen Straßburg zu stellen, wenn es darum geht, Asylsuchende nach Ruanda zu schicken? Die Wellen, die der Fall 'Assange gegen die Regierung der USA' schlagen wird, könnten in der Tat weitreichend sein.“
Die Geschichte hat ihm recht gegeben
Für Le Monde kommt nur eine Freilassung infrage:
„Julian Assange hat ein nützliches Werk vollbracht, indem er die Irrungen und Wirrungen des US-amerikanischen 'Kriegs gegen den Terror' aufgedeckt hat. Diese Enthüllungen waren für die USA zwar eine schwere Belastungsprobe, sie müssen sich aber heute eingestehen, dass die Geschichte im Sinne des Whistleblowers entschieden hat. Die Justiz sollte sich an diesem Urteil orientieren, wenn sie ihr eigenes Urteil fällt.“