Was bringt der Milliardendeal der EU mit Ägypten?
Die Europäische Union hat ein neues Abkommen mit Ägypten geschlossen. Bis zu 6,8 Milliarden Euro soll das Land bis 2027 in Form von Darlehen und Investitionen etwa zur Wirtschaftsförderung und Digitalisierung erhalten. Hinzu kommen 600 Millionen Euro an direkten Zuschüssen, 200 davon zur Eindämmung illegaler Migration.
Größtmöglicher Nutzen für beide Seiten
Protagon begrüßt den Deal:
„Die Europäer sind zwar nicht für ihre Reflexe bekannt, vor allem nicht, wenn es um komplexe geopolitische Fragen geht, aber im Fall der Unterstützung für Ägypten haben sie relativ schnell gehandelt und die zentrale Rolle erkannt, die das gemäßigte arabische Land an der Schnittstelle zwischen Ost und West inmitten von zwei Kriegen spielt. … Können rund 7,5 Milliarden Euro die angeschlagene ägyptische Wirtschaft retten? ... Natürlich nicht, aber die Zusammenarbeit vermittelt auch die Botschaft, dass die EU Ägypten langfristig zur Seite stehen wird. ... Genau das ist der Sinn einer strategischen Partnerschaft: dass die Beteiligten in verschiedenen Bereichen den größtmöglichen Nutzen daraus ziehen.“
Mehr als ein Migrationsabkommen
Die Salzburger Nachrichten verweisen darauf, dass der Deal viele Aspekte beinhaltet:
„Das Partnerschaftsabkommen mit Ägypten ist kein reiner Migrationsdeal, wie Brüssel ihn einst mit der Türkei schloss. Das Geld geht nicht zweckgebunden in die Versorgung von Flüchtlingen, auf dass diese nicht weiterziehen. Vielmehr ist Migration nur ein Punkt von vielen, in denen zusammengearbeitet wird; genau wie im Abkommen mit Tunesien. Und sind in Europas Hauptstädten wahrscheinlich die Schlagworte Migration und Sicherheit fett markiert in dem Abkommen, sind es in Kairo und Tunis vermutlich die Begriffe Investitionen und Handel.“
Schleuser können sich die Hände reiben
Die Frankfurter Rundschau kritisiert das Abkommen:
„Die EU, die sich die Menschenrechte auf die Fahnen geschrieben hat, lagert die Verantwortung aus – damit man Menschenrechtsverstöße nicht so genau sieht. ... Für die Menschen, die vor al-Sisis Regime fliehen, ist das Abkommen eine bittere Botschaft. Sie betrifft aber auch Männer und Frauen aus dem Bürgerkriegsland Sudan, die sich in Sicherheit bringen wollen. Wenn die Grenzkontrollen verschärft werden, bedeutet das für sie, dass sie sich auf noch gefährlichere Fluchtrouten einlassen müssen. Die Schleuserindustrie, die mit dem Deal angeblich bekämpft werden soll, kann sich die Hände reiben.“
Keine andere Wahl
De Volkskrant sieht in dem Abkommen ein notwendiges Übel:
„Das Schaffen von mehr Möglichkeiten für legale Migration ist ein Weg, um unkontrollierte Migration zu reduzieren. Außenpolitik ist oft eine Wahl zwischen unattraktiven Alternativen. Unterstützung des Regimes von Al-Sisi verstößt gegen europäische Werte, Nichtstun gefährdet die Stabilität der EU. Natürlich macht sich die EU die Hände schmutzig, indem sie mit einem Diktator wie dem in Ägypten Geschäfte macht, aber demokratische Führer sind in der Region kaum zu finden.“
Strategische Partnerschaft
Brüssel hofft wohl auch auf die künftige Errichtung von Asylzentren in Ägypten, vermutet die Kleine Zeitung:
„Ägyptens Präsident Abdel Fattah Al-Sisi darf sich freuen. Bei einem Treffen diverser EU-Spitzen in Kairo ... stellte ihm die Union 7,4 Milliarden Euro für sein hoch verschuldetes Land in Aussicht. Das hat freilich weniger altruistische, als strategische Gründe. Neben einer Förderung des verlässlichen Wächters im Mittelmeer, der massenhafte Migration aus anderen Ländern und seinem eigenen verhindert, schielt man in Brüssel auch auf einen möglichen Partner für (noch umstrittene) Asylzentren in Drittstaaten.“
Doppelmoral als struktureller Defekt
Dass Italiens Premierministerin Giorgia Meloni von der Leyen begleitet hat, empört La Repubblica:
„Es hat etwas Widersprüchliches an sich, wenn eine Regierung mit Überzeugung eine atlantische Position innerhalb der Plazenta der liberalen Demokratien einnimmt, aber kein Interesse daran zu haben scheint, die Voraussetzung für eine solche Position zu verteidigen und zu pflegen. ... Eine Unterbrechung der Prinzipien, die ein struktureller Defekt unserer regierenden Rechten zu sein scheint, manchmal auch außerhalb [des Landes], wie der Aufmarsch von Giorgia Meloni und Ursula von der Leyen in Kairo zur Unterzeichnung eines weiteren Antimigrationspaktes beweist. ... Und zwar nicht mit irgendeinem Regime, sondern demjenigen, das jegliche Wahrheit über den staatlichen Mord an einem italienischen Bürger, Giulio Regeni, geleugnet hat.“
Deal kommt zu spät
Zugewinne der Rechtspopulisten bei den EU-Wahlen wird das Abkommen nicht verhindern, glaubt der Kurier:
„Das aktuelle Handeln der EU-Spitze kann nur mit dem Druck erklärt werden, der wegen des Asylproblems auf Brüssel lastet. Weil so wichtige Staaten wie Deutschland unter einer Migrationswelle leiden, weil die Reisefreiheit im Schengenraum nicht mehr funktioniert – und weil wegen der starken Migration die Rechtspopulisten im Aufwind sind. Das Ergebnis davon wird bei den EU-Wahlen am 9. Juni präsentiert werden. Für eine Wende kommt da der Ägypten-Deal der EU viel zu spät.“