Haiti vor dem Zusammenbruch: Was tun?
Haiti findet auch nach dem Rücktritt von Premier Ariel Henry am 12. März nicht zur Ruhe: Bewaffnete Banden kontrollieren Teile der Hauptstadt und wichtige Verkehrswege, stürmen staatliche Einrichtungen, plündern und liefern sich Schusswechsel mit der Polizei. Hunderttausende sind auf der Flucht, es herrscht eine Hungersnot. Europas Presse betreibt Ursachenforschung und sucht nach Lösungswegen.
Nur eine internationale Eingreiftruppe kann helfen
The Times begrüßt die Aufforderung von UN-Generalsekretär António Guterres, multinationale Spezialeinheiten nach Haiti zu schicken:
„Es ist schwer vorstellbar, dass etwas anderes für Sicherheit und Ordnung sorgen kann. Der Zweck eines solchen Einsatzes wäre streng begrenzt: Man würde hierdurch die Banden von kritischer Infrastruktur und Verkehrsknotenpunkten, einschließlich Häfen und Flughäfen, fernhalten und einen humanitären Korridor einrichten, über den Nahrungsmittel und Treibstoff die Not leidende Bevölkerung erreichen. ... Eine internationale Truppe, die mit der Polizei zusammenarbeitet, könnte Waffenlieferungen an die Banden unterbinden. ... Das wäre kein Allheilmittel, denn die Zukunft des Landes liegt in den Händen seiner Bevölkerung. Aber wenn die Menschen in Haiti nicht vor willkürlicher Gewalt und dem Hungertod geschützt werden, wird ihre Zukunft trostlos sein.“
Auch die Schuld des Westens
Der Lateinamerika-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, Christoph Gurk, erinnert:
„Nach dem verheerenden Erdbeben von 2010 war einer der größten Empfänger der Nothilfe eine US-amerikanische Beratungsfirma. Gleichzeitig mischen Washington und der Westen sich weiterhin in die Politik im Land ein: Mal wurden blutrünstige Diktatoren unterstützt, dann wieder fragwürdige Politiker, die sich ganz gezielt auch bewaffneter Banden bedienten, um ihre Macht zu sichern. Dass nun genau diese Gangs weite Teile des Landes kontrollieren und terrorisieren, ist darum auch die Schuld des Westens. Und allein darum schon darf er sich nicht von Haiti abwenden.“
Ein schmerzhafter Weg
Kolumnist Gallagher Fenwick analysiert in France Inter, was für Haiti auf dem Spiel steht:
„Für die erste unabhängige 'schwarze Republik' der Welt wären radikale Lösungen mit schmerzhaften Entscheidungen verbunden. Nachdem Haiti 1804 die französischen Kolonialherren vertrieben hatte, müsste es nun vielleicht eine Art Vormundschaft akzeptieren. Es müsste ganz von vorne beginnen, 'Nation building' betreiben, wie es die Amerikaner nennen, und vorübergehend auf seine Souveränität verzichten. Für eine Zeit, in der die internationale Gemeinschaft dort einen Staat und seine Dienste wieder aufbauen würde. Die erste Priorität wäre natürlich die Wiederherstellung der Sicherheit. Doch je mehr Zeit vergeht, desto stärker festigen die Gangs ihre Kontrolle der Insel.“
Immer mehr instabile Gebiete
Diena ist nicht erstaunt:
„All die Anarchie überrascht niemanden sonderlich, denn Haiti steht seit langem weltweit an der Spitze der Liste der gescheiterten Staaten (failed states). .. Das Schlimmste ist aber nicht das geringe Interesse an den Ereignissen in Haiti, sondern die Tatsache, dass die Gebiete der Instabilität immer größer werden, was zu einem Problem von globalem Ausmaß wird. Davor die Augen zu verschließen, wie es verschiedene Institutionen tun, verschlimmert die Situation nur noch.“