Die EU will wettbewerbsfähiger werden – aber wie?
Der Europäische Rat hat Neuerungen angekündigt, um die Wettbewerbsfähigkeit der EU zu steigern. Ein kontrovers debattierter Bericht des italienischen Ex-Premiers Enrico Letta schlägt unter anderem vor, den Binnenmarkt auf Energie, Telekommunikation und Finanzen auszuweiten und Brüssel direkte Beihilfen an Unternehmen zu erlauben. Nach der EU-Wahl will man sich auf konkrete Maßnahmen einigen. Europas Presse ahnt: Das wird nicht leicht.
Es braucht wieder mal einen Kompromiss
Auf Lettas Forderung nach mehr öffentlichen Ausgaben für die gemeinsame Industriepolitik reagiert die Süddeutsche Zeitung skeptisch:
„Die Kosten dafür müssten 'kollektiv getragen werden'. Die Frage ist nur: Wie soll das bitte funktionieren? Ausgerechnet in Frankreich, wo seit jeher am lautesten nach Subventionen für die Industrie gerufen wird, gibt es kaum finanziellen Spielraum. Präsident Emmanuel Macron treibt die Schulden in gefährliche Höhen, der französische Notenbank-Chef spricht bereits von einer 'Zeitbombe'. ... Fest steht: Eurobonds wird es auf absehbare Zeit nicht geben, dafür wird die FDP in der Ampelregierung schon sorgen. Was also dann? Um Europas Wirtschaft aus der Misere zu führen, braucht es, wie so oft auf EU-Ebene, einen Kompromiss.“
Eine Frage des Geldes
Man müsste erst einmal den europäischen Kapitalmarkt sanieren, mahnt Avvenire:
„Man bräuchte öffentliche Gelder, und zwar jede Menge, aber in dieser Frage sind die 27 Mitgliedstaaten besonders uneins – vor allem wenn es um Eurobonds geht, die von den 'Falken' im Norden abgelehnt werden. In der Zwischenzeit muss man also auf private Investitionen setzen. Das Problem ist, dass die Zersplitterung der europäischen Kapitalmärkte, die in 27 Vorschriften untergliedert sind, eine starke Bremse darstellt. ... Der Bericht von Enrico Letta spricht eine deutliche Sprache: Das Investitions- und Kapitalmarktsystem in Europa liegt im Argen, was der Kapitalabfluss von 300 Milliarden Euro pro Jahr in Richtung USA nur bestätigt.“
Zu unterschiedliche Interessen
Le Soir sieht viele Hürden:
„Die Wettbewerbsfähigkeit der EU wiederherzustellen wird keine leichte Aufgabe sein. In der Regel weichen die Vorhaben und Interessen der Mitgliedstaaten in vielerlei Hinsicht voneinander ab. Die Ziele der deutschen Industrie sind nicht die gleichen wie die ihrer französischen Nachbarn. Daher gibt es unterschiedliche Antworten darauf, wie die Verbesserung des Binnenmarktes aussehen kann. Der Gipfel am Donnerstag zog sich über mehrere Stunden hin, was zeigt, dass es nicht einfach war, eine Lösung zu finden, die alle zufriedenstellt.“
Schwerfälliges Europa handelt erst in der Krise
Für De Volkskrant braucht es weitreichende Veränderungen:
„Die zunehmende geopolitische Rivalität wird die EU früher oder später zum Handeln zwingen. Europa muss sich verteidigen gegen die Konkurrenz aus China, die Produkte mit Staatssubventionen auf den europäischen Markt schmeißt. Es wird auch eine Antwort finden müssen auf die Dynamik der USA, die durch eine einfache Steuersenkung Milliarden an Klimasubventionen verteilt, während die EU nur komplexe und bürokratische Subventionsregelungen hat. ... Die EU ist eine Union von souveränen Staaten, in der erst unter dem Druck großer Krisen Veränderungen zustande kommen.“