EU streitet über Flüchtlingsquote
Die EU-Kommission will am Mittwoch Pläne vorstellen, wonach Flüchtlinge künftig nach einem Quotensystem auf die 28 Mitgliedsstaaten verteilt werden sollen. Mehrere Länder lehnen das Vorhaben ab. Doch der Vorstoß ist die richtige Antwort auf die Flüchtlingskrise, meinen einige Kommentatoren. Andere kritisieren, dass Brüssel damit seine Kompetenzen überschreitet.
Quotenregelung ist faire Lösung
Der Plan der EU, Flüchtlinge gerechter über die Mitgliedsländer zu verteilen, verdient Unterstützung, meint die christlich-soziale Tageszeitung Trouw: "Wenn die EU verhindern will, dass das Mittelmeer zum Massengrab wird, müssen die 28 Mitgliedsstaaten Maßnahmen ergreifen, denen sie eigentlich lieber aus dem Weg gehen wollen. Eine gerechte Verteilung von Flüchtlingen über alle Mitgliedsstaaten ist dafür ein wichtiges Beispiel. Wenn das nicht geschieht, droht die gemeinsame Lösung des Dramas vor der Küste Südeuropas von vornherein zu scheitern. ... Eine neue Chance für Mare Nostrum - als Teil eines breiteren Pakets - ist nur möglich unter europäischer Flagge. Und dazu ist eine europäische Asylpolitik erforderlich. ... Der Vorschlag der europäischen Kommission ist ein gerechter Ansatz. Dagegen darf keine europäische Regierung einen Einwand haben."
Juncker überschreitet seine Kompetenzen
Das Verteilen von Flüchtlingen in ganz Europa wäre die falsche Antwort auf die Tragödien im Mittelmeer und außerdem nicht Sache Brüssels, kritisiert die konservative Tageszeitung The Times: "Das ist in vielerlei Hinsicht ein schlechter Vorschlag. Zuallererst sollte die Rolle der EU nicht darin bestehen, Menschen aus Kriegsgebieten fortzubringen und auf ganz Europa zu verteilen. Sie sollte vielmehr bemüht sein, Migranten in deren Heimatländern oder zumindest in deren Herkunftsregionen zu unterstützen, etwa mit provisorischen Flüchtlingslagern oder lokaler Umsiedlung. Viel wichtiger ist aber Folgendes: Einzelne Staaten können sicher so viele Flüchtlinge aufnehmen, wie sie wollen; doch Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker überschreitet seine Kompetenzen klar, wenn er sich anmaßt, solche Entscheidungen für sie treffen zu wollen."
Länder werden sich nicht einigen
Noch bevor Juncker seine Pläne offiziell vorgestellt hat, gibt es unter anderem aus Großbritannien Widerstand dagegen. Eine Einigung auf die Quotenregelung dürfte schwierig werden, prognostiziert die konservative Frankfurter Allgemeine Zeitung: "Jede Regierung wird sich genau ausrechnen, ob ein solches System für sie mehr oder weniger Einwanderung zur Folge hätte. Da im Augenblick zahlreiche Mitgliedstaaten nur relativ wenige Flüchtlinge aufnehmen, sind die Aussichten auf eine Einigung gering. Auch Deutschland, das in absoluten Zahlen die meisten Antragsteller zu verkraften hat, sollte sich von diesen Verhandlungen nicht allzu viel versprechen. Je nachdem, wie man einzelne Kriterien wie Bevölkerung oder Wirtschaftskraft gewichtet, sind Quoten vorstellbar, die sogar zu noch höheren Asylbewerberzahlen in Deutschland führen würden."
London zwingt EU zu flexibler Flüchtlingspolitik
Großbritannien hat angekündigt jegliche Vorschläge der EU zur Quote abzulehnen. Brüssel wird London wohl nicht vor den Kopf stoßen, prophezeit die liberale Tageszeitung La Stampa: "Um die Nation zusammenzuhalten, muss Cameron in Brüssel Erfolge erzielen. Tatsache ist allerdings auch, dass ein Europa ohne Großbritannien (Brexit-Szenario) in entscheidenden Wirtschaftssektoren und der Verteidigung extrem geschwächt wäre. Cameron braucht Brüssel und umgekehrt. Deshalb muss man wohl schlussfolgern: Die europäische Flüchtlingspolitik wird vermutlich nur auf der Solidarität einiger, nicht aller Länder fußen. Damit wird die Zukunft der EU ab morgen, mehr denn je, von einer flexiblen Integration gekennzeichnet sein. Das bedeutet: Nur durch die verstärkte Zusammenarbeit einiger Länder untereinander, von der andere Mitgliedstaaten ausgenommen werden können, wird der Alte Kontinent eine Überlebenschance haben."