Merkel erhält Rückhalt in Flüchtlingskrise
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihre Partei auf Kurs gebracht: Mit großer Mehrheit stimmt die CDU einem Leitantrag zur Flüchtlingspolitik zu. Die von der Schwesterpartei CSU geforderte Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen ist damit vom Tisch. Kommentatoren glauben, dass Merkel nun vorerst nicht mehr mit parteiinternen Kritikern kämpfen muss. Sie hoffen, dass die post-nationale Regierungschefin in Europa Schule macht.
Es geht auch ohne Populismus
An der deutschen Bundeskanzlerin und ihrer Rede sollten sich andere europäische Politiker ein Beispiel nehmen, findet die liberale Tageszeitung De Standaard: "Merkel gab zu, dass auch die Aufnahmekapazität des stärksten europäischen Mitgliedstaats begrenzt ist. Aber, so sagte sie, wir nehmen keine Menschenmassen auf, sondern Menschen. ... Merkel beweist, dass die Entscheidung, den humanen Aspekt des Migrationsproblems in den Mittelpunkt zu stellen, nicht direkt zum Untergang führt. Politische Führer können auch einen anderen Weg wählen, als sich von den Wogen des Populismus mitziehen zu lassen. Dazu müssen sie allerdings ihr ganzes politisches Kapital einsetzen, um bei einer zaudernden Gesellschaft den Glauben in die eigene Kraft und Identität zu stärken."
Fast eine post-nationale Kanzlerin
Merkel hat mit ihrer Rede gezeigt, dass für sie ein europäisches Denken wichtiger ist, als die Befindlichkeiten der eigenen Parteibasis, findet die linksliberale Süddeutsche Zeitung: "Für die CDU-Chefin ist das Schengen-System ... eine der zentralen Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte - auch wegen der immensen Vorteile für die deutsche Wirtschaft. Merkel ist der Meinung, dass eine EU, die nicht in der Lage ist, die Flüchtlingskrise zu meistern, ihre ureigensten Werte verraten würde. Und sie glaubt, dass eine Schließung der deutschen Grenze und der folgende Rückstau an Flüchtlingen den ganzen Balkan destabilisieren würde. Merkel - und das ist eines ihrer Probleme mit der CDU - ist inzwischen beinahe eine post-nationale Kanzlerin. Wenn eine Lösung ihrer Ansicht nach die beste für ganz Europa ist, zieht sie diese einem Weg vor, von dem nur Deutschland profitiert. Das führt zwangsläufig zu einer Entfremdung von der Christlich Demokratischen Union Deutschlands."
Merkel bekommt eine Atempause
Gegen ihre Kritiker gewonnen hat Angela Merkel in der Flüchtlingskrise noch lange nicht, glaubt die linksliberale Tageszeitung Der Standard: "Sie geht gestärkt aus dem Parteitag - aber sie weiß auch: Man hat ihr nur eine Atempause verschafft. Diese resultiert nicht allein aus ihrer inhaltlichen Strahlkraft. Die Delegierten wissen, dass sie zu Kanzlerin Merkel keine Alternative haben. Auch diese personelle Aussichtslosigkeit zwingt zu Disziplin. Zudem sind Umfragewerte von 38 Prozent für eine Partei, die seit zehn Jahren an der Regierung ist, kein so elender Zustand. ... Dennoch hat Merkel noch keinen Sieg errungen. Wenn die Flüchtlingszahlen nicht spürbar sinken - nicht nur wetterbedingt im Winter, sondern auch im Frühjahr danach -, hat sie wieder das gleiche Problem. Ihre Kritiker werden erneut lauter und lauter werden. Das ganze Spiel geht von vorn los. Aber dann kann Merkel nicht mehr darauf vertrauen, dass sie die Lage wieder mit einer Rede und ein paar neuen Worten in den Griff bekommt."