Sollte Estland Zugang zum Gymnasium beschränken?
Estlands Bildungsministerin Mailis Reps hat vorgeschlagen, einen Mindestnotendurchschnitt für den Übertritt auf das Gymnasium einzuführen. Schüler, die diese Hürde verfehlen, müssten künftig auf Berufsschulen gehen. Reps möchte so die hohe Quote von Schulabbrüchen auf dem Gymnasium senken. Die estnische Presse diskutiert die Folgen für die Gesellschaft.
Selektion und soziale Spaltung verhindern
Postimees hält nichts von einem Mindestnotendurchschnitt:
„Tatsächlich ist der Anteil der Jugendlichen, die [vom Gymnasium fliegen und danach] lediglich einen Grundschulabschluss haben, unverschämt hoch. Das ist ein Problem für deren Eltern und das Arbeitsamt. Es wäre gut, wenn sie in einer Berufsschule etwas lernen würden. Doch der Zwang, in die Berufsschule zu gehen, wird nicht helfen, noch weniger ein Mindestnotendurchschnitt. Was wirklich erschreckend ist, ist die Diffamierung der Berufsausbildung. Wie sollen sich nun die Schüler oder Lehrer der Berufsschulen fühlen? Berufsschulen haben schon lange nicht mehr den schlechten Standard der Sowjetzeit. ... Wir dürfen keine soziale Spaltung bereits bei der Jugend befürworten. Jeder soll seine Zukunftsentscheidungen frei treffen können.“
Berufsschule ist kein Beinbruch
Der Vorschlag ist realitätsgerecht, meint Journalist Joosep Tiks in Eesti Päevaleht:
„Hätte es den Mindestdurchschnitt zu meiner Schulzeit gegeben, wären mehrere meiner Klassenkameraden wohl auf die Berufsschule gegangen. Das wäre wahrscheinlich besser für sie und für uns alle gewesen. 'Wozu soll ich diese Formeln lernen, die ich niemals brauchen werde?' Das hat man von ihnen so oft gehört. Ich nehme an, dass sie diese Formeln wirklich nicht brauchen. Und auch nicht die Fähigkeit, [die französischen Maler] Monet von Manet zu unterscheiden. ... Die Zukunft der Jugendlichen, die unterhalb der Hürde bleiben, muss nicht mit der Berufsschule enden. Sie bekommen schnell einen Vorteil auf dem Arbeitsmarkt und können später trotzdem studieren, denn auch in der Berufsschule kann man viel lernen.“