AboEditorial zum JahreswechselUnd was, wenn Trump wirklich zurückkommt?
2024 wird zum Jahr der Entscheidungen. Es hängt stark von den USA ab, ob die Ukraine durchhält. Und ob Israel seinen Frieden findet. Das alles zwingt auch die Schweiz, Farbe zu bekennen.

2023 war das Jahr der geplatzten Illusionen. Israel musste zur Kenntnis nehmen, dass es nicht möglich ist, in Frieden zu leben, indem man einfach das Problem der Palästinenser ignoriert und Frieden mit den arabischen Diktaturen schliesst. Die Ukraine musste erleben, dass die Solidarität des Westens dort ein Ende hat, wo bei den Verbündeten die Innenpolitik beginnt. Sei es in den USA, wo die Hilfe für die Ukraine inzwischen zum Spielball von innerparteilichen Querelen der Republikaner geworden ist, sei es in der EU, wo es Putins Freund Victor Orbán, Ungarns Langzeit-Ministerpräsident, gelang, die EU-Hilfe an Kiew zu stoppen.
Mag sein, dass sich die beiden Budgetblockaden noch einmal lösen lassen, aber Wolodimir Selenski muss klar geworden sein, dass die Demokratien des Westens den heroischen Abwehrkampf gegen die Russen nicht noch jahrelang unterstützen werden. Genauso wenig, wie seine Landsleute sich an der Front opfern lassen, nur damit sich diese ein paar Hundert Meter vor- oder zurückverschiebt. Zum Glück ist das so, schliesslich leben wir, und auch die Ukraine, in Demokratien, in denen die Menschen nicht einfach nur Manövriermasse für den Kriegseinsatz, sondern die Stützen der Gesellschaft sind.
Der Krieg ist in einer Pattsituation festgefahren. 2023 ist erst die russische und dann die ukrainische Offensive gescheitert. Die Russen verloren zu viele Soldaten, die Ukrainer erhielten zu wenig westliche Unterstützung, um den Krieg für sich entscheiden zu können. Wenn sich der Westen nicht noch überraschend dafür entscheidet, die Ukraine so stark zu unterstützen, dass sie den Krieg gewinnen kann, dann ist es wohl ehrlicher, mit den Russen zu verhandeln als weiter Soldaten sterben zu lassen.
Es ist wohl kein Zufall, dass genau jetzt in der «New York Times» Artikel erschienen sind, in denen erst behauptet wurde, Wladimir Putin sei entgegen allen öffentlich bekundeten Durchhalteparolen doch an einem Waffenstillstand interessiert. Kurz darauf wurde ein Kommentar abgedruckt, der Selenski dazu aufforderte, Verhandlungen über einen Waffenstillstand aufzunehmen. Die «New York Times» ist nicht irgendein Blatt, sie ist die einflussreichste Stimme in den USA, und wenn die Demokraten regieren, auch ein inoffizielles Sprachrohr der Regierung.
Es wird kein gerechtes Kriegsende, sondern ein bitteres
Natürlich ist es die Kriegsmüdigkeit, auf die Putin mit seinem Bombenhagel seit geraumer Zeit setzt. Und natürlich wird Putin versuchen, es als Sieg zu verkaufen, wenn es zu Friedensverhandlungen und zu einem Waffenstillstand kommt. Doch wäre das wirklich ein Sieg, wenn das grösste Land der Welt ein paar Quadratkilometer mehr Land kontrolliert? Wohl kaum, denn erstens ist es der Ukraine gelungen, die Russen aufzuhalten, die vorher den Nimbus hatten, über die zweitstärkste Armee der Welt zu verfügen. Zweitens ist Russland heute ein isoliertes Land, das für diesen Pyrrhussieg das Leben und die Gesundheit von 315’000 Soldaten geopfert hat. Drittens sind mit Finnland und bald auch Schweden zwei Länder zu Nato-Staaten geworden, die vorher neutral waren. Und letztlich wird der künstliche Boom der Wirtschaft, den die Milliardeninvestitionen in die Rüstungsindustrie ausgelöst haben, nicht von Dauer sein.
Das wird kein gerechtes Kriegsende, wenn es denn wirklich so kommt, sondern ein bitteres. Doch für die Ukraine bietet es immerhin die Chance, dass sich der Staat in den Westen integrieren kann. Keine schlechte Perspektive für die Menschen aus dem Land, das vor dem Krieg das Armenhaus Europas war. Die Mittel dafür sind vorhanden, und sie werden wohl auch kommen, höchstwahrscheinlich sogar aus Russland. Denn auch gerade jetzt wird wieder über die Verwendung der gesperrten Milliarden der russischen Zentralbank debattiert. 300 Milliarden Euro sind gegenwärtig gesperrt, 7,5 Milliarden davon liegen in der Schweiz.

Eine gute Alternative zum beschriebenen Szenario wird das Jahr 2024 für die Ukraine nicht bereithalten. Schon gar nicht, wenn sich die amerikanischen Wählerinnen und Wähler tatsächlich wieder für Donald Trump als Präsident entscheiden. Das ist laut aktuellen Umfragen eine durchaus realistische Perspektive. Auf Trumps Wahlsieg in den USA hofft Israels Premierminister Benjamin Netanyahu. Mit Trump hat Netanyahu seine aussenpolitische Strategie entwickelt, die lange Zeit erfolgversprechend aussah. Immerhin gelang es Israel, mit zahlreichen arabischen Staaten, darunter Bahrain, Marokko, der Sudan und die Vereinigten Arabischen Emirate, Frieden zu schliessen und gleichzeitig die Siedlungen im besetzten Westjordanland weiter auszubauen.
Den arabischen Diktatoren lag mehr an Geld und Waffen aus den USA und Israel als an den palästinensischen «Brüdern». Als Saudiarabien auch unterschreiben wollte, kam der Überfall der Hamas-Terroristen und der Gazakrieg, der alles infrage stellte. Nun kann es sich kein arabisches Land mehr leisten, mit Israel Frieden zu schliessen, egal, wie der Gazakrieg ausgeht. US-Präsident Joe Biden beginnt Druck auf Netanyahu auszuüben, den Krieg zu beenden und mit den Palästinensern eine Lösung zu finden. Er, oder sein Nachfolger, muss sich für ein akzeptables Friedensangebot entscheiden, denn auch wenn es Israel doch noch gelingen sollte, alle Hamas-Kämpfer zu töten, in fünf Jahren stehen doppelt so viele neue da, wenn nicht endlich eine Perspektive für einen gerechten Frieden sichtbar wird.
Die Schweiz wird nicht darum herumkommen, mitzumachen bei den Entscheiden der Mächtigen. Wir werden die bei uns deponierten russischen Staatsgelder für die Ukraine freigeben müssen, Neutralität hin oder her. Es wird endlich zu einem Verbot der Hamas kommen müssen, auch wenn das für Staaten wie die Türkei ein Präzedenzfall werden könnte, die Schweiz unter Druck zu setzen, auch die PKK oder ähnliche Widerstandsbewegungen zu verbieten. Und die Schweiz muss ihr Verhältnis zur EU und auch zur Nato klären. Nicht irgendwann, sondern in den nächsten zwei Jahren. Nicht, dass wir dem einen oder dem anderen Bündnis beitreten müssten – oder gar sollten. Aber wir werden unseren Beitrag – finanziell geht das in die Milliarden – leisten müssen. Dafür, dass die EU die Ukraine integriert und die Nato uns de facto die Sicherheit garantiert. Gerade letzteres dürfte mit einem US-Präsidenten Trump sehr teuer werden.
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