Wiener Beschlüsse sollen Flüchtlinge aufhalten
Die Balkanstaaten und Österreich haben in Wien vereinbart, die Zahl der Flüchtenden auf der Balkanroute mit gemeinsamen Maßnahmen zu verringern. Einige Kommentatoren werten die Kooperation als Schritt in die richtige Richtung. Andere beklagen mangelnde europäische Solidarität angesichts nationaler Alleingänge.
Griechenland wird im Stich gelassen
Österreich und die Balkanländer haben sich auf ihrem gemeinsamen Gipfel aus der Affäre gezogen und die gesamte Last der Flüchtlingskrise auf Griechenland abgewälzt, kritisiert die linksliberale Tageszeitung Delo:
„Die Balkanländer haben die Flüchtlinge lediglich schnellstmöglich Richtung Norden geleitet und die Last so anderen Ländern aufgebürdet. Auch deshalb ist es unangemessen, dass sie nun das bereits verwüstete Griechenland bestrafen. Zu Recht beschwert sich Athen über mangelnde Solidarität. Zudem ist vollkommen unklar, was Griechenland mit zehntausenden gestrandeten Flüchtlingen machen soll. Internationale Organisationen machen auf die drohende humanitäre Katastrophe aufmerksam - eine der Folgen des Wiener Balkan-Gipfels 'der Vernunft'. Die Flüchtlinge werden gezwungen sein, noch gefährlichere Wege zu gehen, womit die Spannungen innerhalb der EU bleiben werden.“
Österreichs Schritt in die richtige Richtung
Die Zusammenarbeit der Balkanstaaten und Österreichs wird die Flüchtlingszahlen erst einmal nicht reduzieren, aber für Entspannung in den Ländern selbst sorgen, lobt die konservative Frankfurter Allgemeine Zeitung:
„Jeder Schritt, der zu einer raschen Verringerung der Zahl der in Deutschland ankommenden Flüchtlinge führt, wird zur Folge haben, dass irgendwo anders auf den Wanderungsrouten ein Rückstau entsteht. ... Wenn Einigkeit über das Ziel besteht, die Zahl der Neuankömmlinge zu verringern, muss es also darum gehen, diesen Rückstau mit möglichst viel Menschlichkeit gegenüber den Migranten und ohne politische Erschütterungen in den betroffenen Ländern zu erzeugen. Daher ist die von Österreich initiierte Zusammenarbeit mit den Balkanstaaten ein Schritt in die richtige Richtung: Es handelt sich um politisch und wirtschaftlich fragile Länder, die nicht grundlos in der Statistik der Herkunftsstaaten vor kurzem noch weit oben standen.“
Der erhoffte "Dominoeffekt" wird ausbleiben
Eine klare Linie in der österreichischen Flüchtlingspolitik vermisst die linksliberale Tageszeitung Der Standard:
„Ziel müsste sein, dass sich die Menschen erst gar nicht auf den Weg machen, weil sie wissen, dass sie keine Chance haben, in ihr Wunschland zu gelangen. Verhindert werden muss hingegen die Wiederholung der Schreckensszenen vom August 2015, als zehntausende Verzweifelte in Ungarn steckenblieben. Doch genau diesen Effekt wird die Bundesregierung mit ihrer Vorgangsweise erzielen. ... Die Zahlen und deren Durchsetzung sind so gewählt, dass die Tür einen Spalt offen bleibt - und so die Hoffnung lebendig. Der von Österreich gewünschte 'Dominoeffekt' wird den Flüchtlingsandrang allein nicht stoppen. Denn bis die Botschaft von der Obergrenze [am Grenzübergang] in Spielfeld in Afghanistan, Marokko und der Türkei ankommt, wird noch viel Zeit vergehen.“
Kein bisschen Solidarität in Europa
Die nationalen Alleingänge auf der Wiener Balkan-Konferenz verdeutlichen, dass die europäische Solidarität am Ende ist, kritisiert die konservative Tageszeitung Dimokratia:
„Die EU-Mitgliedstaaten sind Nationalstaaten und das zeigen sie bei jeder Gelegenheit. Niemand denkt europäisch, weil sich niemand ausschließlich als Europäer fühlt - bis auf diejenigen, die [in Brüssel] an den Mechanismen der Macht festhalten, die die Großmächte dieser hungrigen und rücksichtslosen Herde [die Nationalstaaten] geschaffen haben. … Sobald die Flüchtlingskrise schlimmer wurde, haben sich die Regeln, die Werte und all die wichtigen Dinge aufgelöst, die die EU angeblich ausmachen. Grenzen werden dicht gemacht und das Schengen-Abkommen und die vielen Seiten, auf denen genau steht, wie sich die Staaten untereinander und gegenüber ihren Bürgern zu verhalten haben, verwandeln sich in leeres Papier.“
Wiener Kehrtwende aus Angst vor FPÖ
Dass Österreich in der Flüchtlingspolitik auf einmal nicht mehr an der Seite Deutschlands steht, hat nach Ansicht der linken Tageszeitung Právo vor allem einen Grund:
„Umfragen von Ende Januar zeigten, dass im Fall von Parlamentswahlen die scharf gegen die Flüchtlinge ausgerichtete FPÖ mit dem Gewinn eines Drittels der Wähler stärkste Partei würde. Ein paar Wochen vorher lag sie bei nur 27 Prozent. Die Abgeordneten werden zwar erst in zwei Jahren gewählt, aber schon Ende März entscheiden die Österreicher über einen neuen Präsidenten. Den wird die FPÖ wahrscheinlich nicht stellen. Aber wenn die Regierungsparteien ernsthaft an Unterstützung verlieren, könnte so mancher Politikersessel wackeln. Und das versucht jeder aus der politischen Elite unbedingt zu vermeiden. Flüchtlinge hin, Flüchtlinge her.“