Droht Europa ein Religionskrieg?
In der Normandie drangen vergangene Woche zwei Angreifer in eine Kirche ein und ermordeten dort einen Priester. Die IS-Miliz beanspruchte die Tat für sich. Für die Presse ein Grund, sich mit der möglichen Gefahr eines Religionskriegs in Europa auseinanderzusetzen.
Gemeinsam beten hilft wenig
Am Sonntag haben in vielen Kirchen Muslime und Christen gebetet und der Ermordung des Priesters in Saint-Étienne-du-Rouvray gedacht. Das ist eine schöne Geste, mehr leider nicht, bedauert Ferruccio de Bortoli im Corriere del Ticino:
„Die Geste wurde mehr oder minder durch die äußeren Umstände auferlegt. Eher eine Pflicht denn ein wahres Bedürfnis. … Doch diese Bekundungen der Eintracht sind zwar spektakulär - aber ebenso schnelllebig wie erzwungen. Weitaus mehr bringt echter gegenseitiger Respekt - und zwar im Bewusstsein der Unterschiede. Respekt, der im Alltag der Beziehungen aufgebaut wird. Indem man die Glaubensfreiheit wirklich fördert. Indem man die Möglichkeit gibt, den Glauben an annehmbaren Orten auszuüben, und nicht im Keller versteckt. Dabei sollte man nicht vergessen, dass in vielen Ländern des Nahen Ostens keine Kirchen mehr gebaut werden. Die wenigen verbliebenen werden zerstört und die Christen sind wortwörtlich vom Aussterben bedroht. Große Solidaritätsbekundungen diesbezüglich seitens der islamischen Gemeinschaften sind aber nicht festzustellen.“
Malteser müssen Islamhass überwinden
Von Religionskriegen geprägt ist Maltas Geschichte - doch nun ist es an der Zeit, dass die Malteser eine versöhnliche Haltung gegenüber dem Islam einnehmen, appelliert der Malta Independent:
„Unsere Geschichte unter der Herrschaft der Ritterorden, die Belagerung durch die Osmanen im Jahr 1565 und die Basteien überall in Valletta und Cottonera erinnern uns an den Kampf der Religionen, in dem sich Malta damals an vorderster Front befand. Die Belagerungsmentalität - eine Folge von so vielen Jahrhunderten des Hasses, der Feindschaft und des Kämpfens - ist immer noch Teil unserer Psyche. Doch in der heutigen Zeit haben wir die Wahl: Wir können entweder dem Islamhass erliegen, der Teil unseres nationalen Erbguts ist. Oder wir versuchen, dem Vorbild nicht nur von Papst Franziskus, sondern auch dem von Pater Jacques Hamel zu folgen, der Muslimen in seinem Pfarrbezirk half, ihre Moschee zu errichten, bevor er von zwei IS-Anhängern ermordet wurde.“
Islam in Frankeich leidet unter Laizismus
In Folge der Terrorattentate durch radikale Islamisten will Frankreichs Premier Valls unter anderem verfügen, dass der Bau von Moscheen vorübergehend nicht mehr aus dem Ausland finanziert werden darf. Ein äußerst schwieriges Vorhaben, konstatiert Le Monde:
„Das Gesetz von 1905, das die Trennung von Staat und Kirchen festschreibt, ist ein praktisch unantastbarer Text. ... Da es die staatliche Finanzierung von Religionsgemeinschaften untersagt, kann der Islam keinen Boden gutmachen: Ihm mangelt es an Moscheen und an ausgebildeten und republikanisch geprägten Imamen und er schafft es wegen fehlender religiöser Hierarchie nicht, sich eine strukturierte Organisationsform zu verleihen. ... Die [angestrebte] Gleichheit zwischen muslimischer und katholischer Religion entspricht nicht der Realität. Selbst wenn ausländische Gelder nur einen geringen Teil der Mittel ausmachen, so haben sie zumindest zur Finanzierung und Organisation der muslimischen Glaubensgemeinschaft beigetragen.“
Generalangriff auf westliche Gesellschaft
Warum der islamistische Terrorismus nicht mit dem Terror der 1970er Jahre in Europa vergleichbar ist, erklärt Göteborgs-Posten:
„Die Organisation der radikalen Islamisten ist komplett dezentral und unabhängig. Es gibt keine politischen Verhandlungen, die dem Islamischen Staat ein Ende setzen oder die Kämpfer stoppen könnten. Keine politischen Entscheidungen und kein sozialpolitischer Einsatz können den Fanatismus dieser Gruppe mildern. Es gibt kein Land in Europa, keinen Teil der Gesellschaft und keine Minderheit, die als Ziel ausgenommen werden. Deshalb ist der Vergleich mit dem Terrorismus der 1970er-Jahre in Europa so weltfremd. Der Mord an dem katholischen Priester in der Normandie, der Anschlag auf Charlie Hebdo oder die Bomben auf dem [Brüsseler] Flughafen Zaventem - alles war ein Generalangriff auf die westliche Gesellschaft. Und so fasst der radikale Islamismus seine Rolle auch auf: Er befindet sich in einem ewigen religiösen Krieg, den nur die Gläubigen gewinnen können.“
Islam ist (noch) keine Religion des Friedens
Anders als das Christentum hat der Islam in seiner Geschichte die Gewalt noch nicht überwunden, klagt The Irish Independent:
„Es ist problematisch, dass der Islam - auch wenn seine Vertreter immer wieder das Gegenteil beteuern - keine Religion des Friedens ist. Das Christentum war ebenfalls gewalttätig, die Kreuzzüge wurden ja einst von Papst Urban II. legitimiert. Doch diese fanden zwischen dem 11. und dem 15. Jahrhundert statt, und das Christentum hat danach zu seiner ursprünglichen Form einer Religion des Friedens zurückgefunden. Der Islam hat im Gegensatz zur christlichen Welt keine Reformation oder Aufklärung erlebt. Das macht es für einige seiner Ableger – das gilt natürlich nicht für alle Gläubigen – allzu leicht, den Rückwärtsgang einzulegen. Der Islam selbst muss Wege finden, mit diesem Dilemma umzugehen. Während viele Kleriker zum Frieden aufrufen, befördern einige einen Heiligen Krieg.“
Kirchen werden Türen nicht verschließen
Die Kirche wird die Mission des ermordeten Priesters fortsetzen, versichert die katholische Tageszeitung Avvenire:
„Die offenen Türen unserer Kirchen - durch die die Mörder von Pater Jaques Hamel gekommen sind - stehen im Kontrast zu all den Abriegelungen, Gittern und Mauern, die die Frucht der Angst sind. ... In dieser Kirche in der Normandie, wie in vielen anderen in Frankreich und in Europa, wird das Geheimnis einer Welt gehütet, die nicht an Mauern glaubt und sich nicht von der Gewalt verführen lässt. Vielleicht missfällt dieser Teil des Kontinents den Gewalttätigen besonders. ... Die Geste des Todes ruft die Christen zu einer erneuten Mission inmitten der Gewalt in Europa auf. Der Traum einer Versöhnung der Gesellschaft muss geträumt werden: Integriert wird, wer am Rande steht, wer sich von der Gemeinschaft ausgeschlossen fühlt und ihr feindselig gegenüber steht. Es ist eine Mission der Versöhnung. Kein leeres Gerede, sondern eine tiefe Notwendigkeit, zu der die Kirche berufen ist. Die Messe von Pater Jacques, die gewaltsam unterbrochen wurde, muss fortgesetzt werden.“
Angst darf uns nicht den Verstand rauben
Mit der Ermordung eines katholischen Priesters hat der Terror der IS-Milizen erneut gezielt Grenzen überschritten, analysiert Večernji list:
„In Europa wird ein Krieg der Angst geführt. Unser 'Lebensstil' ist in seinen Grundfesten erschüttert, auch wenn wir uns weigern, darüber zu sprechen. Und das ist genau die Qualität des Terrors, den die islamistischen Extremisten erreichen wollten. Sicherheitsexperten wiederholen dieser Tage landauf landab, dass solche Terroranschläge unvorhersehbar sind und man sich nicht wirklich vor ihnen schützen kann. Das offenbart die Machtlosigkeit unserer tief erschütterten europäischen Gemeinschaft. Aber diese schwindelerregende Angst darf uns nicht die Vernunft rauben. Der geplante, brutale Mord an dem französischen Priester ruft in vielfältiger Weise zum Religionskrieg auf. ... Aber wenn wir nun in jedem muslimischen Flüchtling einen potentiellen Terroristen sehen, haben die Ideologen des IS leichtes Spiel, diesen Krieg auf dem Boden Europas zu gewinnen.“
Mit der Unsicherheit leben lernen
Der jüngste Terroranschlag zeigt, dass niemand mehr sicher ist, und genau deshalb bleibt uns nichts anderes übrig, als an unseren Werten festzuhalten, meint La Libre Belgique:
„Fakt ist: Es können unmöglich alle Kultstätten bewacht werden. … Noch illusorischer ist es, alle sogenannten 'sensiblen' Orte identifizieren und schützen zu wollen. Die Reaktion auf die Barbarei beschränkt sich daher nicht auf Sicherheitsmaßnahmen und deren Verschärfung, die notwendig, aber unzureichend sind. Die Antwort besteht darin, dass wir umso stärker unsere Ideen und Werte hochhalten: Wir müssen uns weigern, alle in einen Topf zu werfen, unsere hochheilige Meinungsfreiheit beschneiden zu lassen und einer niederträchtigen Logik zu verfallen, die uns dazu veranlassen will, unsere Welt durch das Prisma eines Religionskriegs oder gar eines Kampfs der Kulturen zu betrachten. Ebenso müssen wir verhindern, dass der Terror ein noch schlimmeres und gefährlicheres Übel verbreitet: Spaltung und Zwietracht. Wir müssen einfach weiterleben.“
Europäischer Islam muss sich erneuern
Einen Paradigmenwechsel im Anti-Terror-Kampf fordert die konservative Tageszeitung ABC:
„Bislang haben wir auf diesen Krieg mit passiven Schutzmechanismen reagiert: Mehr Sicherheitskontrollen, mehr Prävention, mehr Überwachung. Aber wir können ja nicht vor jede Kirche einen Polizisten stellen. ... Deshalb ist jetzt der Moment gekommen, um außerordentliche Methoden anzuwenden. ... Europäer muslimischen Glaubens müssen sich aktiv einmischen in den Kampf des Guten gegen das Schlechte, der mörderischen Radikalisierung gegen das Leben. Die muslimischen Gemeinden in Europa müssen die Prinzipien der Toleranz und Freiheit voll und ganz unterstützen - jene Prinzipien, die ihnen ein angenehmes Leben in Europa ermöglicht haben. Die Mörder von Saint-Étienne-du-Rouvray haben ihre niederträchtige Tat offen in einer Moschee angekündigt, ohne dass sie jemand ernst genommen hätte. Der Islam, zumindest der europäische, braucht eine Grunderneuerung, damit solche Perversionen in seinen Kreisen keinen Platz mehr finden.“