Ceta-Gipfel in Brüssel geplatzt
Am heutigen Donnerstag sollte das Handelsabkommen Ceta zwischen der EU und Kanada unterzeichnet werden. Doch da Belgien weiterhin keine Einigung mit den Regionen erzielt hat, sagte die kanadische Regierungsdelegation ihre Reise nach Brüssel ab. Einige Kommentatoren freuen sich, dass die Wallonie ihren Widerstand aufrecht erhält und damit für Nachverhandlungen sorgen könnte. Andere sind bitter enttäuscht von der Handlungsunfähigkeit der EU.
Widerstand hat Ceta bislang nur gut getan
Spiegel Online lobt den Widerstand der Wallonen als wichtigen Impuls für Nachbesserungen an Ceta:
„Der Blick auf die Inhalte von Ceta ... zeigt, dass es tatsächlich ein vergleichsweise fortschrittliches Abkommen ist. Er zeigt aber auch, dass es viele dieser Fortschritte ohne den Druck von Kritikern und Änderungen in vermeintlich letzter Minute nie gegeben hätte. Das gilt besonders für den öffentlichen Investitionsgerichtshof, der die umstrittenen privaten Schiedsgerichte für Investoren ersetzt. Er wurde erst nach Ende der offiziellen Verhandlungen und nicht zuletzt auf Druck von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) ins Abkommen geschrieben. ... Der wallonische Ministerpräsident Paul Magnette ist also nicht ganz allein, wenn er jetzt weitere Nachbesserungen am Investorenschutzsystem und Garantien für die heimische Landwirtschaft fordert. ... Die Beteiligten [sollten sich] auf weitere Nachverhandlungen einlassen. Bislang haben die Ceta nur genützt.“
Blockade kommt zum falschen Zeitpunkt
Die EU ist gelähmt und das könnte weit größere Konsequenzen haben, als das Scheitern von Ceta, fürchtet Der Standard:
„All die Sonntagsreden von europäischen Spitzenpolitikern, wonach 'wir' 500 Millionen EU-Bürger als größte Wirtschaftsmacht auf dem Globus 'unsere' Standards setzen wollen, sind heiße Luft. Nein, das gelingt nicht, weder beim Handel noch in der Sozial- oder Umweltpolitik. Wir reden nur sehr viel davon. Das gilt übrigens nicht nur für Regierende, sondern auch die vielen NGOs und Oppositionellen in diesem Zusammenhang. Agitprop und Kompromissunfähigkeit sind schlechte Voraussetzungen für gemeinsame europäische Politik, insbesondere die dringend nötige Außen- und Sicherheitspolitik, zu der ernsthafte Außenhandelspolitik gehörte. Das ist in Tagen, in denen in Aleppo ein Kriegsverbrechen geschieht, ein russischer Flugzeugträger im Mittelmeer Richtung Syrien fährt, eher tragisch.“
Brüssel misst mit zweierlei Maß
Während die widerspenstige Region Wallonie von der EU gehätschelt wird, hackt man auf den Visegrád-Staaten wegen ihrer Flüchtlingspolitik nur herum, ärgert sich Rzeczpospolita:
„Es gibt keine offizielle Kritik, und die EU-Chefs verbeugen sich auch noch vor den Forderungen der Wallonen. Denn hier geht es um Sozialdemokraten und das angeblich so zivilisierte Belgien, ein Gründungsmitglied der EU. ... Gleichzeitig vertreten in der Flüchtlingspolitik einige ostmitteleuropäische Länder eine andere Meinung als der Rest. Und ihr Widerstand hat auch seine Gründe, weil dies ihre staatlichen Interessen berührte. Und das auch noch in einem Bereich, wo die EU-Verträge nicht so klar geregelt sind wie beim Handel. Man weiß nicht einmal, ob hier die EU überhaupt irgendwelche Kompetenzen hat. Und trotzdem gab es hier Drohungen und Belehrungen, dass diese widerborstigen Völker nicht reif seien und dass sie keine richtigen Europäer seien.“
Europäer interessiert gemeinsame Zukunft nicht
Europa hat kein Demokratiedefizit, sondern ein Problem mit dem Desinteresse seiner Bürger, meint Le Monde:
„Ein Parlament in Straßburg, das in allgemeiner Wahl gewählt wird; ein Ministerrat, der die mit qualifizierter Mehrheit getroffenen Beschlüsse absegnet; eine Kommission, die von den Regierungen ernannt und deren Mitglieder einzeln vom Europaparlament bestätigt werden; ein Gerichtshof zur Kontrolle des Gebildes, dessen Grundlage das Recht ist. Kurzum, keine Einwände. Wenn sich die Europäer darin nicht wiederfinden, bedeutet dies ganz einfach, dass sie keine gemeinsame Zukunft errichten wollen. Dieser Mangel an Gemeinschaftssinn führt zur Delegitimierung Europas. ... Die Briten haben sich für einen Austritt aus der EU entschieden. ... Dadurch sind sie das Risiko eingegangen, ihr Königreich auseinanderbrechen zu sehen und anschließend begreifen zu müssen, dass die EU der wohlwollende Zement des Kontinents und der so bedrohten Nationalstaaten ist.“
Europa in die Hände der Bürger legen
Angesichts des Ceta-Debakels plädiert The European für ein Europa, das nicht mehr durch nationale Parlamente blockiert werden kann:
„Als Staatenbund kann die EU nicht funktionieren. ... Wie soll eine Gemeinschaft funktionieren, bei der Unstimmigkeiten innerhalb einer einzigen Regierung alle anderen zur Untätigkeit verdammen? Genau das erleben wir seit 2008 jeden Tag: Bankenkrise, Eurokrise, Griechenlandkrise, Georgienkrieg, Ukrainekrieg, Syrienkrieg, Flüchtlingskrise. ... Wer die nationale Ebene stärkt – seien es die Regierungen oder die Parlamente – verurteilt Europa zur Tatenlosigkeit. Genau dies ist das Ziel der Nationalisten: Die EU zerstören, indem man sie lähmt. ... Entscheidungen, die alle Bürger Europas betreffen, müssen auch von allen Europäern gemeinsam gefällt werden. Der richtige Ort dafür ist allein das Europäische Parlament. Wir brauchen ein Europa der Bürger.“
Politik ist gegenüber Populisten machtlos
Am Widerstand Walloniens gegen Ceta lässt sich gut ablesen, mit wieviel Populismus und Lügen die Gegner des Vertrags operieren, klagt der öffentlich-rechtliche Hörfunksender Český rozhlas:
„Folgt man den wallonischen Politikern, dann lockert das Abkommen den Schutz europäischer Arbeitnehmer, der Verbraucher und der Umwelt und ruiniert die europäische Landwirtschaft. Auch zahllose Erklärungen und rechtliche verbindliche Protokolle, die das Gegenteil belegen, überzeugen die Wallonen nicht. ... Wenn die Gegner meinen, dass das viel kleinere Kanada der EU irgendwelche schädlichen Standards aus der Zeit der Ausbeutung im 19. Jahrhundert aufdrückt, dann ist ihnen nicht mehr zu helfen. Das ist dann nur noch paranoid. ... Die Führer der europäischen Länder haben nicht die Courage, klar zu sagen, weshalb wir den freien Handel brauchen, weshalb er für uns positiv ist. Damit aber überlassen sie den öffentlichen Raum den Populisten.“
Es gibt keine Alternative zu dieser EU
Mehr Kompetenzen an die EU oder an die Mitgliedsstaaten? Für Keskisuomalainen ist keiner der beiden Vorschläge der richtige, um die Entscheidungsfindung in der EU zu erleichtern:
„Die Probleme mit dem Ceta-Abkommen sind ein Beispiel dafür, wie schwierig die Entscheidungsfindung in der EU ist. Eine einzelne Gruppe kann die Entscheidungen stärker beeinflussen, als es ihrer Größe angemessen ist. Die Union ist derzeit zerstritten, ebenso sind es viele Mitgliedstaaten. So ist es sogar wahrscheinlich, dass sich solche Situationen wiederholen. Die Alternativen zum jetzigen Entscheidungssystem sind allerdings nicht attraktiv. Den Einfluss einzelner Staaten zu verringern, würde noch mehr Distanz schaffen und könnte die Differenzen weiter verschärfen. Weitet man die Befugnisse der Mitgliedstaaten wiederum aus, wäre die Entscheidungsfindung zwar näher am Bürger, aber noch komplizierter als bisher.“