EU und Kanada unterschreiben Ceta
Nach sieben Jahren Verhandlungen und Streit bis zuletzt haben die EU und Kanada das Freihandelsabkommen Ceta unterschrieben. Am Freitag hatte die belgische Region Wallonie dem Papier doch noch zugestimmt - nachdem sie Zusatzvereinbarungen nachverhandelt hatte. War das zähe Ringen am Schluss ein Armutszeugnis für die EU oder ein Beweis für ihre Demokratiefähigkeit?
Verhandlungsdebakel wirkt abschreckend
Auch wenn das Freihandelsabkommen Ceta letztlich unterzeichnet wurde, hat sich die EU wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert, resümiert The Economist:
„Die Glaubwürdigkeit der EU als Verhandlungsführer für Handelsabkommen beruht auf ihrer Möglichkeit, für all ihre Mitglieder zu sprechen. Ohne diese Möglichkeit verliert der größte Konsumentenmarkt der Welt seinen Reiz. Potenzielle Handelspartner werden die qualvollen Verhandlungen für das Ceta-Abkommen nicht vergessen. Wenn man im Vorfeld von Verhandlungen mit der EU auf die Feinheiten der belgischen Regionalpolitik oder die Details nationaler Referendumsgesetze Rücksicht nehmen muss, werden sich die Partner fragen, ob es den Aufwand wert ist. ... Ein Abkommen mit einem freundlich gesinnten Partner wie Kanada hätte für die EU denkbar einfach sein müssen. Nur wenige werden sich von dieser Peinlichkeit ermutigt fühlen.“
Wallonisches Nein war gut für die Demokratie
Das Beharren der Wallonen und ihres Premiers Paul Magnette hat die EU voran gebracht, lobt Le Soir:
„Die Opposition der Region Wallonie und ihres Superhelden PM hat die Debatte über die Demokratie neu angestoßen. Das ist sehr gut, denn Debatten sind nicht nur gut für die Demokratie, sie sind vor allem ein Zeichen dafür, dass sich das Kräftegleichgewicht ändern könnte. ... Die Rückkehr und das Wiederaufleben der Demokratie auf lokaler Ebene sind bereits Realität, und es besteht Hoffnung, dass dies auch Einfluss auf die europäische Ebene hat, wo es am dringendsten notwendig wäre. Die Parlamente wurden zu oft beschuldigt, allein auf die Interessen multinationaler Konzerne einzugehen, denen die Regierungen Steuergeschenke machen und ähnliches. Es ist Zeit, daran zu erinnern, dass sie ihre Aufmerksamkeit auch 'nach unten' richten müssen, um sie der Basis, ihren Wählern, den Bürgern zu widmen.“
EU muss kleinsten gemeinsamen Nenner bewahren
Der Zwist um Ceta hat erneut gezeigt, wie kritisch es um den Fortbestand der EU steht, meint Die Presse und fordert, dass sich Europas Regierungen nun auf das Wesentliche konzentrieren:
„Nach anfänglichem Jetzt-erst-recht-Gerede haben europapolitische Entscheidungsträger (spät, aber doch) erkannt, dass es jetzt nicht darum geht, die Union zu verbreitern oder zu vertiefen, sondern darum, sie zu retten. Ihr Kern ist der Binnenmarkt, von dem jeder Teilnehmer in unterschiedlichem Ausmaß profitiert. Es ist der Ort, an dem die EU-Mitglieder lernen, dass es sich auszahlt, kompromissbereit zu sein. Wer nicht will, dass die EU von Populisten sturmreif geschossen wird, muss dafür sorgen, dass der gemeinsame Binnenmarkt mit seinem freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Arbeitnehmern keinen Schaden nimmt. Er ist der kleinste gemeinsame Nenner, ohne den es die EU nicht geben kann.“
Handelspakte untergraben nationale Souveränität
Darüber, dass Ceta nun wohl doch unterschrieben wird, kann sich Corriere del Ticino gar nicht freuen:
„Das Handelsabkommen mit Kanada ist der Vorreiter von TTIP, über das seit Jahren hinter verschlossenen Türen verhandelt wird. ... Beide Abkommen schränken die nationale Souveränität und die Möglichkeit der lokalen Behörden ein, die Interessen ihrer Länder zu vertreten. Sie beinhalten nämlich de facto eine Abtretung der Macht an Schiedsgerichte, die über Streitereien zwischen Staat und Unternehmen entscheiden. Die Philosophie dieser Handelsabkommen ist klar: die Macht der einzelnen Staaten reduzieren und sie an außergerichtliche Institutionen zu übergeben. ... Gegen diese gravierende Verletzung der nationalen Souveränität hat sich (bis gestern) nicht nur das Parlament der Wallonie zur Wehr gesetzt, sondern auch das deutsche Bundesverfassungsgericht. Es hat verlangt, dass Ceta für Berlin die Möglichkeit beinhalten muss, aus dem Abkommen auszuscheiden, sollte es die Verfassung Deutschlands verletzen.“
Großer Prestigegewinn für Kanada
Während die EU strauchelte, hat sich Kanada bei den Ceta-Verhandlungen als geeint, berechenbar und verlässlich erwiesen, lobt die kanadische Tageszeitung The Globe and Mail:
„Die EU hatte befürchtet, dass eine kanadische Provinz bei den Verhandlungen aus der Reihe tanzen könnte. Stattdessen drohte eine belgische Provinzregierung, sieben Jahre harte Arbeit zunichte zu machen. Kanadische Verhandler konnten sich wohl nicht des Eindrucks erwehren, dass da ein Esel den anderen Langohr schimpft. ... Wie auch immer die Sache ausgeht, Kanada hat gewonnen. Wir stehen nach dem Ceta-Prozess als kompetent und verlässlicher wirkender Handelspartner da. Dieser Ruf wird sich bezahlt machen. ... Kanada hat bewiesen, dass es mit einer geeinten und schlüssigen Position international verhandeln kann - und das trotz Bedenken einzelner Provinzen, Wirtschaftszweige und Interessenvertreter.“
Die Wallonie ist nur symbolischer Sieger
Der Erfolg der Wallonie und ihres Ministerpräsidenten Paul Magnette wird triumphaler dargestellt, als er in Wirklichkeit ist, betont Le Vif/L'Express:
„Die Zugeständnisse hinsichtlich der Schiedsgerichte zwischen Unternehmen und Staaten waren es wert, dass Druck gemacht wurde: So wird unser demokratisches Rechtssystem davor geschützt, dass Parallelstrukturen Teile der Gesetzgebung durch Einsprüche von Unternehmen zerstören. Dabei allerdings von einem Sieg der sozialen Werte gegen das Großkapital zu sprechen, geht einen Schritt zu weit. Im Agrarbereich wurden ebenfalls beachtenswerte Fortschritte erreicht, doch der Schutz einer Landwirtschaft, die hochwertige Produkte liefert, stand bereits auf der Themenliste des Vertrags und der Kommission (kein Hormon-Rindfleisch, geschützte Herkunftsbezeichnungen …). Es sind also vor allem zwei symbolische Trophäen, mit denen ein Kampf gerechtfertigt wird, der zwar wohltuend ist, der aber den Lauf der Welt nicht ändern wird.“
Aus dem Ceta-Debakel muss die EU lernen
Die EU muss zwei Konsequenzen aus der Erfahrung ziehen, dass das Ceta-Abkommen um ein Haar gescheitert wäre, mahnt El País:
„Die erste Lehre aus der Episode besteht in der Einsicht, dass es notwendig ist, proaktiv zu handeln, statt passiv zu reagieren. Dies gilt vor allem für Themen, bei denen der Populismus leicht diejenigen für sich vereinnahmt, die Opfer der Globalisierung, der übertriebenen Sparpolitik oder von beidem geworden sind. ... Die andere große Lektion besteht darin, über Lösungen für die europäische Regierbarkeit nachzudenken, um die absurde Situation zu verhindern, dass eine Minderheit von 3,5 Millionen Menschen den Willen von 508 Millionen Mitbürgern blockiert. Selbst wenn diese Haltung eher innenpolitische und nicht europäische Gründe hat. Gerade deshalb - und weil eben solche Situationen immer häufiger werden können - braucht es dafür eine allgemein gültige politische und juristische Antwort.“