Anschlag erschüttert britischen Wahlkampf
Großbritannien ist nur zweieinhalb Wochen vor der Unterhauswahl durch den Anschlag in Manchester erschüttert worden. Wahlkampfauftritte wurden vorerst abgesagt, Premierministerin May und ihr Herausforderer Corbyn vermieden jede politische Bewertung der Attacke. Kommentatoren sind uneins, ob es richtig ist, den Wahlkampf zu unterbrechen.
Nicht die Zeit für kämpferische Töne
Weil die Menschen in Großbritannien nach dem Anschlag auf allen Ebenen Einigkeit, Hilfsbereitschaft und Besonnenheit demonstrierten, werden die Terroristen ihre niederträchtigen Ziele nicht erreichen, lobt Financial Times:
„Die britischen Politiker haben richtig reagiert. Der Wahlkampf wurde vorübergehend ausgesetzt. Die politischen Führer haben nach dem Angriff zur Einheit aufgerufen. Premierministerin Theresa May, Oppositionsführer Jeremy Corbyn und der Bürgermeister von Manchester, Andrew Burnham, schlugen den richtigen Ton an, als sie zur Ruhe aufriefen. ... Jene, die den Anschlag verübten, wollen Spaltung säen und die Werte der britischen Demokratie untergraben. Die Reaktion in Manchester, wo alle - von den Notdiensten bis zu den Taxifahrern - mithalfen, um den Opfern und den trauernden Familien zu helfen, ist die beste Replik auf die Taten der Agenten des Terrors.“
Demokratischen Alltag weiterleben
Für die Wehrhaftigkeit der Demokratie ist es wichtig, dass die Briten schnell den Wahlkampf fortsetzen, findet hingegen Politiken:
„Wir müssen unseren Alltag weiterleben, und der Alltag in Großbritannien ist nun mitten in einem Wahlkampf. Es ist verständlich und richtig, dass heute eine Pause eingelegt wird. Aber es ist entscheidend, dass der Wahlkampf morgen fortgesetzt wird. Denn es ist die Stärke der Demokratie, dass wir viele sind, die in einer gut organisierten Gesellschaft zusammenleben - einer pluralistischen Gesellschaft, in der unterschiedliche Einstellungen zu finden sind. Doch eines darf in unserer Gesellschaft niemals Platz haben: Wir dürfen uns nicht mit Gewalt und Terror abfinden und uns vom Übel zurückdrängen lassen. Unser Zusammenhalt und unsere Stärke im Alltäglichen werden den Terrorismus besiegen. Und wir werden gewinnen - trotz dieser schlimmen Tat.“
Starke Führerin May wird siegen
Der Wahlsieg von Premier Theresa May ist nach dem Anschlag in Manchester unausweichlich, glaubt der Tages-Anzeiger:
„Ihr entschlossenes Auftreten und ihre gleichzeitigen Krankenhausbesuche als gute Mutter Theresa sprechen für sich. Zaghafte Stimmen in Oppositionskreisen fragen zwar, ob May denn als langjährige Innenministerin genug getan habe, um das Land gegen Terroristen zu sichern. Davon wird man noch mehr hören, wenn in den nächsten Tagen der Einheitswille erst wieder zu schwinden beginnt. Vorerst wagt aber, aus Respekt vor den Opfern von Manchester, kein Kommentator diese 'politisch motivierte' Frage zu stellen. Und bis das geschieht, dürften die Umfragen längst ein erneutes Anziehen Theresa Mays in der Wählergunst zeigen. Ist May noch zu stoppen vor dieser Wahl? Dass jemand sie vom Podest der 'starken Führerin' stossen würde, war ja schon vorher eher unwahrscheinlich. Nach Manchester wird es so gut wie unmöglich sein.“
Sicherheit darf nicht unter Brexit leiden
Für die Tageszeitung Der Standard zeigt der Anschlag, wie wichtig die europäische Sicherheitskooperation trotz des Brexit bleiben wird:
„Die Nation steuert mit dem Austritt aus der Europäischen Union auch eine Situation an, die das Sicherheitskonzept sowohl der EU als auch Großbritanniens zumindest verändern wird. Viel wurde Ende März über den Satz in Theresa Mays Brexit-Brief an die EU diskutiert: Sollte kein Austrittsvertrag zustande kommen, könnte dies die 'Kooperation im Kampf gegen Verbrechen und Terror schwächen'. Erpressungsvorwürfe, die sofort im Raum standen, wurden damals von britischer Seite eilig zurückgewiesen. Doch noch ist völlig offen, wie beispielsweise eine weitere Zusammenarbeit mit der Polizeibehörde Europol nach vollzogenem Rückzug aus der EU aussehen könnte. Vor dem Hintergrund der aufrechtbleibenden Terrorbedrohung in Europa sollte das beidseitige Interesse, den vertraulichen Informationsaustausch weiter zu pflegen, aber groß sein.“