70 Jahre Israel: Traum und Realität
Im Mai 1948 rief David Ben-Gurion mit der Unabhängigkeitserklärung den Staat Israel aus. Der 70. Geburtstag wird überschattet vom Konflikt mit den Palästinensern und von innenpolitischen Problemen. Ist das der Staat, von dem die Gründer vor sieben Jahrzehnten geträumt haben?
Mächtiger Staat mit verunsicherten Bürgern
Dass die Juden tatsächlich den Staat haben, den sie sich erträumt hatten, bezweifelt Phileleftheros:
„Ja, sie haben jetzt einen mächtigen Staat mit einer starken Wirtschaft. ... Sie haben Kriege gewonnen und stärkere Länder besiegt. Die Bevölkerung des Landes wächst Jahr für Jahr und in den Bereichen Gesundheit, Wissenschaft und Technologie sind lauter Errungenschaften zu verzeichnen. Doch all diese positiven Dinge, die in vielen Jahren erreicht wurden, verschwimmen angesichts der Tatsache, dass Israel zu einem vom Militär beherrschten Land wird, das das Gesetz ignoriert und dem Tod unschuldiger Menschen gleichgültig gegenübersteht. ... Israels Bürger leben in einem Klima der Unsicherheit und fürchten um ihre Zukunft. Die Stärke dieses Staats erweist sich als seine Achillesferse.“
Israel hat seine Seele verloren
Der Journalist Daniel Oliveira ist in Expresso tief enttäuscht von der Entwicklung Israels:
„Dieser Staat wurde aus einem Traum von Freiheit und Sicherheit geboren. Dieser Traum war legitim. ... Doch kein Staat hat das natürliche Recht, geboren zu werden. Staaten wurden durch Kriege, Verbrechen und Besatzungen bestätigt. Das Problem ist, in was sich Israel unwiderruflich verwandelt hat: Das Ziel, die Palästinenser aus ihrem Land zu vertreiben, wurde zu einem wesentlichen Bestandteil der Identität des Landes. Der Traum von Freiheit endete in einem fremdenfeindlichen, militaristischen und zutiefst korrupten Staat. Israel hat seine Seele verloren. ... Israel ist tot. Es waren seine Mauern, seine Ghettos und seine Säuberungen, die Israel getötet haben. ... Israel ist heute eine der größten Enttäuschungen der Menschheit.“
Geburtstag unter schlechtem Stern
Die Rahmenbedingungen der Feierlichkeiten sind alles andere als gut, urteilt die Tageszeitung Die Presse:
„Die pompöse Geburtstagsparty findet vor der Kulisse der Proteste der Palästinenser im Gazastreifen, einer Gewaltdebatte um die israelische Armee und der Angst vor einer Eskalation des Syrien-Kriegs statt. Dass in Israel im Vorfeld ein bitterer Zank über die Feiern ausgebrochen ist, bildet indessen nur die Polarisierung im Land ab, in dem Premier Benjamin Netanjahu wegen Korruption am Pranger steht. Darüber, wer wie lang in der Knesset reden darf, ist ein giftiger Streit bis zum Boykott entbrannt. Ausländische Staats- und Regierungschefs wurden ein- und dann wieder ausgeladen. Was sich rund um den 14. Mai abspielen wird, die symbolhafte Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem, steht in den Sternen. Israels Generation der Staatsgründer hätte sich ein würdigeres Ambiente verdient.“
Israelis und Palästinenser brauchen ein Zuhause
Auf eine friedliche Zweistaatenregelung hofft Schriftsteller und Friedensaktivist David Grossman in einer von El País abgedruckten Rede, die er bei einer alternativen Feier vor dem Staatsjubiläum hielt:
„Was bedeutet es, ein Zuhause zu haben? Ein Zuhause ist ein Ort mit klaren, akzeptierten, stabilen und soliden Grenzen, der geordnete Beziehungen mit den Nachbarn pflegt. Die Israelis haben auch nach 70 Jahren keinen solchen Ort, trotz aller patriotischen Worte, die wir diese Tage hören. Israel wurde gegründet, damit das jüdische Volk erstmals sein Zuhause erhält auf dieser Welt. Heute ist Israel vielleicht eine Macht, aber es ist nicht dieses [sichere] Zuhause. Die Lösung für das komplizierte Problem zwischen Israelis und Palästinensern lässt sich kurz zusammenfassen: Solange die Palästinenser kein Zuhause haben, werden es auch die Israelis nicht haben. Und umgekehrt, solange Israel kein Zuhause ist, wird es auch Palästina nicht sein.“