Regierung Tusk im Amt: Weg frei für ein neues Polen?
Polens Premier heißt jetzt wieder Donald Tusk. Am Dienstag wurde er als Chef seiner neuen Regierung aus liberalkonservativer Bürgerkoalition (KO), christlich-agrarischer PSL, zentristischer Polska 2050 und linker Lewica vereidigt. Sein Vorgänger Mateusz Morawiecki (PiS) war am Montag mit einer Vertrauensabstimmung gescheitert. Kommentatoren wirken erleichtert, sehen aber auch etliche Hürden.
Vertrauensvorschuss unbedingt nutzen
Die neue Regierung darf diese Chance nicht verspielen, warnt Gazeta Wyborcza:
„Die PiS hinterlässt den Demokraten in praktisch allen Bereichen des öffentlichen Lebens einen Augiasstall. ... Die dringendsten Themen sind die Wiederherstellung elementarer Standards für die öffentlichen Medien, die Freigabe von Geldern aus dem Nationalen Wiederaufbauplan und die Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit. Niemand wird sich über einen Mangel an Arbeit beklagen. Hauptsache, Sie streiten nicht, Hauptsache, Sie vergeuden diesen riesigen Vertrauensvorschuss nicht, denn die Menschen werden Ihnen dies nicht verzeihen.“
Stabiler Partner
Dem Westen kommt der Sturz der PiS-Regierung sehr gelegen, freut sich Helsingin Sanomat:
„Für die liberalen Gegner der PiS war der Machtwechsel ein historischer Tag. Auch aus Sicht der EU wird Polen zu einem stabileren Partner. Und für Polens Nachbarland Ukraine ist der Machtwechsel ebenfalls eine wichtige Nachricht. ... Polen wird auch zukünftig ein selbstbewusstes Land sein, das in der EU und der Nato sehr präsent ist. Das Land trägt eine große Verantwortung für die ukrainischen Flüchtlinge und kämpft an seiner Ostgrenze gegen die von Russland und Belarus betriebene hybride Bedrohung. Ein starkes demokratisches Polen wird im westlichen Lager gebraucht.“
Beispielhafter Europäer
El País hat hohe Erwartungen an den neuen Premier:
„In einer Zeit, in der die aufstrebenden Rechtsextremen Druck auf die konservativen Parteien weltweit ausüben und sie in Richtung Extremismus drängen, ist sein Erfolg eine hoffnungsvolle Botschaft, die Einfluss auf die Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni haben könnte - vor allem, weil sie aus einem der größten und strategisch wichtigsten Länder der EU kommt. ... Um die acht verlorenen Jahre wettzumachen, muss Tusk die Justiz entpolitisieren, die Unabhängigkeit der öffentlichen Medien wiederherstellen, die Rechte der Frauen stärken und die von der PiS geförderte Homophobie bekämpfen. ... Seine Rede, in der er die Stärke und Souveränität Polens mit der Stärke und Souveränität eines geeinten Europas gleichsetzte, war beispielhaft.“
Ukraine-Freunde an der Macht
Die neue Regierung weckt Hoffnungen in Kyjiw, schreibt BBC News Ukraina:
„In letzter Zeit hat sich das Verhältnis zwischen Polen und der Ukraine abgekühlt, was weitgehend durch das Vorgehen der polnischen Behörden verursacht wurde. Das Symbol der ukrainisch-polnischen Beziehungen ist zurzeit die von polnischen Spediteuren blockierte Grenze zwischen den beiden Ländern. Tusk verkündete, er hielte die Lösung dieses Problems für eine Priorität und bildete noch vor der Bestätigung seiner Regierung eine behördenübergreifende Gruppe für diese Frage. Eine weitere gute Nachricht: Außenminister wird Radosław Sikorski, der in Kyjiw den Ruf eines entschiedenen Befürworters der Ukraine und in Moskau den eines notorischen Russophoben hat.“
Große Verantwortung, große Herausforderung
Interia sieht den neuen Regierungschef vor einer Herkulesaufgabe:
„Donald Tusk hat eine dreifache Verantwortung. Er muss zeigen, dass er in der Lage ist, das Chaos, das er geerbt hat, nicht nur zu managen, sondern es konkret und wirksam umzugestalten. Zweitens muss er die Kraft aufbringen, eine Koalitionsregierung zu führen, in der es im Laufe der Zeit natürlich zu Profilierungsversuchen und Konflikten kommen wird; der Widerstand der Linken gegen die Anhebung des Steuerfreibetrags ist ein frühes Symptom. ... Und drittens kommt er nicht umhin, über die wahren Gründe für das Scheitern der liberalen Demokratie vor einigen Jahren und die weiter schwelenden Gefahren im westlichen Zivilisationskreis nachzudenken, wo der Populismus nicht tot ist, sondern gerade wieder auflebt.“
Man kann den Populismus besiegen
Laut Tages-Anzeiger wird Polen für andere Staaten und Zivilgesellschaften als Vorbild dienen:
„Der Wechsel zurück zu Donald Tusk ist für Polen und in gewisser Hinsicht auch für Europa die wichtigste politische Zäsur seit 1989. ... In Zeiten des Demokratieabbaus entfaltet ein Wahlergebnis wie in Polen eine tröstliche Wirkung. Es zeigt, dass all die schmerzhaften Verletzungen am staatlichen System geheilt werden können, dass ein Wahltag ausreicht, um acht Jahre Zerstörungswerk zu beenden. ... Im Konzert der Staaten Europas wird Polen eine führende Stimme übernehmen können – als Vorbild für eine überstandene Populisteninfektion, als Beispiel für andere Zivilgesellschaften.“
Kohabitation erschwert Konfliktlösung mit EU
Tusk steht vor großen Herausforderungen, betont Irish Independent:
„Er hat alle Hände voll zu tun, um das Erbe der achtjährigen Herrschaft der nationalistischen PiS zu überwinden. ... Hinzu kommt die Schwierigkeit, dass Präsident Andrzej Duda mit der PiS verbündet ist. ... Politische 'Kohabitation', wie sie Frankreich kennt, bedeutet für die EU stets Kopfzerbrechen. ... Ein entscheidender Test wird Tusks Fähigkeit sein, die [eingefrorenen] EU-Hilfen freizubekommen. ... Trotz der positiven Haltung der EU ist Brüssels Botschaft unmissverständlich: Absichtsbekundungen werden nicht reichen, echte Taten sind für einen Wandel erforderlich.“
Polen wird zum Glück nicht pflegeleicht
Dass der Regierungswechsel eine große Chance auch für die EU ist, betont die Welt:
„Nicht zuletzt deswegen, weil die neue Regierung keineswegs pflegeleicht sein wird. Migrations- und energiepolitisch setzt sie schärfere Akzente als die Von-der-Leyen-EU oder als SPD und Grüne. Wie sie überhaupt eigenständig auftreten wird. Deutschland und die EU sind vor allem im Abschleifen von Kanten geübt. Polen wird da Widerworte geben. Das ist gut so.“
Herr Kaczyński, treten Sie ab
Michał Szułdrzyński wendet sich in Rzeczpospolita direkt an den Chef der abgewählten PiS:
„Vor etlichen Monaten versprach Jaroslaw Kaczyński, sich nach Ablauf seiner Amtszeit als PiS-Vorsitzender nicht wieder zur Wahl zu stellen. Heute ist er zur größten Belastung für seine Partei geworden. Aber nicht nur für seine Partei, sondern auch für Polen. Vielleicht ist es also an der Zeit, Herr Kaczyński, sich zu verabschieden, die Partei sich selbst zu überlassen und in den politischen Ruhestand zu gehen. Sie wissen das doch selbst.“