Weltwirtschaftsforum Davos: Ein Auslaufmodell?
Im schweizerischen Davos treffen sich seit Montag zum 54. Mal Vertreter aus Politik und Wirtschaft zum World Economic Forum. Trotz erneut hochrangiger Besetzung stellen Kommentatoren nicht zum ersten Mal die Frage, welchen Zweck das Forum heute noch erfüllt.
Reine Zeitverschwendung
Cumhuriyet sieht bloß noch Heuchelei:
„Die reichsten Menschen und Politiker der Welt treffen sich wieder im Schweizer Skiort Davos. Eine Woche lang wird die globale Elite bei ihrem jährlichen Treffen anlässlich des Weltwirtschaftsforums 'die Welt retten' und Lobbyarbeit betreiben. ... Die Daten, die Oxfam am Vortag [zur Einkommensungleichheit] veröffentlichte, sind erschütternd. ... In Davos tun die Reichsten so, als würden sie über die großen Probleme reden, aber sie verschwenden ihre Zeit! Währenddessen verwandelt sich die Welt täglich mehr in eine Hölle für diejenigen, die von ihrer Arbeit leben.“
Kein Wort über Ungleichheit
Efimerida ton Syntakton vermisst etwas auf der Tagesordnung:
„Eine Besonderheit des diesjährigen Davos-Treffens ist, dass das immer drängendere Thema der wirtschaftlichen Ungleichheit auf der Tagesordnung überhaupt nicht vorkommt. Im Mittelpunkt der diesjährigen Diskussionen auf dem Weltwirtschaftsforum steht eine Fülle von Themen wie Künstliche Intelligenz, Schaffung von Wachstum und Arbeitsplätzen, Energie, Umwelt, Klimawandel, geopolitische Spannungen, Sicherheit/Zusammenarbeit. ... Nicht aber die Ungleichheit, die merkwürdigerweise in der Liste der größten kurz- und langfristigen Risiken der Welt fehlt, die das Forum letzte Woche veröffentlicht hat.“
In gesunden Planeten investieren
Auch bei Unternehmern fällt langsam der Groschen, erläutern Nathalie Delapalme von der Africa-Europa Foundation und Vanina Laurent-Ledru von der Foundation S - The Sanofi Collective in Le Monde:
„Die Finanzmechanismen müssen dringend flexibler gestaltet werden, um sie unmittelbarer einsetzen und besser auf die Bedürfnisse lokaler Gemeinschaften abstimmen zu können. Das ist die einzige Lösung, wenn man den Anpassungsanstrengungen [von Entwicklungsländern] eine neue Dynamik verleihen und die Bevölkerungen in ihren Gebieten verankern will. ... Die Unternehmen begreifen langsam, dass ihr eigenes Wachstum eng mit der Gesundheit unseres Planeten und dessen Bewohnern verknüpft ist. Dieser Konsens muss in konzertiertes und gemeinsames Handeln auf globaler, nationaler, aber auch subnationaler Ebene münden.“
Wehklagen unter Gleichgesinnten
Das Forum ist zu einer Echokammer geworden, analysiert Financial Times:
„Es besteht die Gefahr, dass bei einigen teilnehmenden Delegierten lediglich die eigenen Überzeugungen bestärkt werden. Das Forum kann sich manchmal wie ein Wehklagen unter Gleichgesinnten anfühlen, die Schwierigkeiten haben, mit einer sich verändernden Realität klarzukommen. Die Stärke von Davos lag ohnehin nie wirklich in der Fähigkeit, Lösungen für die Probleme der Welt anzubieten. ... Tatsächlich lenken die hohen Ambitionen des Forums oft vom wahren Zweck der Veranstaltung ab: Sie ist ein einmaliges, riesiges Networking-Event. ... Die Angst, etwas zu verpassen, garantiert jedes Jahr aufs Neue eine rege Teilnahme.“
Später Sieg der Antiglobalisierungsbewegung
Die Zäsur im Freihandel geht auch an Davos nicht vorbei, beobachtet die Süddeutsche Zeitung:
„Über viele Jahre war das Treffen in den Schweizer Bergen die heißeste Party der globalisierten Elite, von Managern, Lobbyisten, Politikern und irgendwelchen Experten: Freihandel! Networking! Deals! ... Das alles ist lange her. ... Jetzt tummeln sich dort die Protektionisten, während die Welthandelsorganisation WTO, vor 30 Jahren mit Verve für den Freihandel ins Leben gerufen, um ihre Existenz fürchten muss. In Davos spielt sie nur noch eine Nebenrolle. Es ist, bei aller geopolitischen Gereiztheit, ein später und stiller Sieg der Antiglobalisierungsbewegung.“
Vorbildlicher Brückenbau
Die Kräfte, die sich gegen die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich einsetzen, können sich in Davos etwas abschauen, findet Le Courrier:
„Es ist offensichtlich, dass die Lösungen für die tragischen Konsequenzen der Krise des globalisierten Kapitalismus nicht von den Davoser Treffen kommen werden. Stattdessen müssten sie sich, wie es Oxfam formuliert, auf 'eine internationale Bewegung stützen, die sich der Gier der Ultrareichen widersetzt und sich für wirtschaftliche, soziale und ökologische Gerechtigkeit einsetzt'. ... Um einen Schritt in diese Richtung zu machen, könnten sich die fortschrittlichen Kräfte von einer Eigenschaft inspirieren lassen, die man der in Davos versammelten herrschenden Klasse zugutehalten muss: die Fähigkeit, Differenzen bisweilen zu überwinden, um gemeinsame Interessen einheitlich zu vertreten.“