Kann die Offensive auf Rafah verhindert werden?
Die angekündigte Offensive Israels auf Rafah löst international große Sorge aus. Um sie zu verhindern, hat Südafrika erneut einen Eilantrag gegen Israel beim höchsten UN-Gericht gestellt. Gleichzeitig laufen in Kairo Verhandlungen über eine Feuerpause und einen Austausch der Geiseln in der Hand der Hamas. Ob diese allerdings garantieren können, dass die mehr als 1,3 Millionen Binnenflüchtlinge in Rafah verschont bleiben, ist unter Kommentatoren umstritten.
Es gibt noch Hoffnung
The Economist glaubt, dass ein humanitäres Desaster in Rafah vermieden werden kann:
„Die Rückkehr israelischer Vertreter an den Verhandlungstisch in Kairo am 13. Februar spiegelt die israelische Einschätzung wider, dass die Forderungen der Hamas nur ein Eröffnungszug in einem Schachspiel waren und eine Einigung über einen vorübergehenden Waffenstillstand erzielt werden kann. Israelische Verantwortliche glauben, dass die Hamas sich neu formieren und der Bevölkerung eine dringend benötigte Atempause verschaffen muss, bevor am 10. März der heilige Monat Ramadan beginnt. Das könnte sie dazu zwingen, bei den Verhandlungen zur Freilassung von Geiseln mehr Spielraum einzuräumen. Um die Hölle in Rafah zu vermeiden, muss eine Seite zuerst nachgeben.“
Gegen Terroristen hilft nur Stärke
Dass die Hamas zu Zugeständnissen bereit ist, hält Observator Cultural für unwahrscheinlich:
„Eine Sache darf nicht vergessen werden: Für die Anführer der Hamas spielt der Fakt, dass Zehntausende Zivilisten in Gaza gestorben sind, keine große Rolle. Vielmehr sehen sie diese als Opfer für die Sache und als sehr gutes Propagandainstrument für die Außenwelt. In diesem Krieg hat die Hamas nicht die Zivilisten unterstützt, im Gegenteil, sie wollte möglichst nah bei ihnen sein, um sie in menschliche Schutzschilde zu verwandeln. Denn die Hamas ist eine Terrororganisation, mit der man nicht vernünftig diskutieren, sondern nur aus der Position der Stärke heraus agieren kann. Und Netanjahu weiß das am besten.“
Hamas könnte den Krieg morgen beenden
An der Eroberung Rafahs führt für die Tageszeitung Welt kein Weg vorbei:
„Es ist bezeichnend für den verrotteten Zustand internationaler Institutionen, dass kaum jemand das nahe Liegende fordert, um diesem Krieg ein Ende zu bereiten. Denn der könnte morgen vorbei sein, würde die Hamas die Waffen strecken, die verbliebenen Geiseln freilassen und die Mörder des 7. Oktober ausliefern. Bis das geschieht, muss Israel tun, was notwendig ist, um die Geiseln zu befreien und die Terrorgefahr zu bannen. Und dazu gehört auch die Eroberung von Rafah.“
Evakuierung der Zivilisten scheint unmöglich
Gazeta Wyborcza hält Netanjahus Zusicherungen für kaum überzeugend:
„In den letzten Tagen wiederholte Netanjahu, dass die Armee die Stadt angreifen werde, versicherte aber gleichzeitig, dass die Zivilbevölkerung evakuiert werden würde. Seine Worte klingen jedoch nicht glaubwürdig, denn ein Blick auf die Karte genügt, um zu erkennen, dass es für die Menschen keinen Zufluchtsort gibt. Nördlich von Rafah liegen die völlig zerstörten Dörfer, aus denen sie geflohen sind, und die israelische Armee; im Süden liegt Ägypten, das nicht die Absicht hat, palästinensische Flüchtlinge ins Land zu lassen.“
Das ist eine Falle
Israel kann in Rafah nicht so vorgehen wie bisher, meint der ehemalige Tory-Außenminister Großbritanniens William Hague in The Times:
„Ein absoluter Sieg über eine Armee kann auf einem Schlachtfeld errungen werden, nicht aber über einen Aufstand, der seine Kraft aus einer Idee speist, die tief in der Bevölkerung verwurzelt ist. Um hier einen Sieg zu erringen, muss kluge Politik die Anwendung von Gewalt begleiten. Wenn israelischen Streitkräfte in Rafah so vorgehen wie in den letzten Monaten, dann ignoriert man so eine Politik. ... Es wäre ein schrecklicher Fehler Israels, den Raum für eine [langfristige friedliche] Lösung weiter einzuengen und sich damit unwissentlich mit weiteren Kriegen abfinden zu müssen, die nicht verhindert werden können und in denen ein absoluter Sieg unmöglich ist. Das ist eine Falle. Die Zukunft des Nahen Ostens könnte vom Schicksal Rafahs abhängen.“
Washington stößt auf taube Ohren
Die US-amerikanische Außenpolitik in der Region hat im Moment wenig Erfolg, stellt Corriere della Sera fest:
„Die Nahost-Strategie von Joe Biden ist in allen Bereichen in ernsthaften Schwierigkeiten. Die jüngste Reise des Außenministers Antony Blinken in die Region hat die Position des israelischen Premiers nicht erschüttert. ... Der amerikanische Präsident, so berichten die US-Medien, ist kurz davor, mit der israelischen Regierung zu brechen. Das wäre ein dramatischer Bruch von historischem Ausmaß. Aber das ist nicht das einzige Risiko auf diesem Gebiet. Laut Berichten scheint auch das Treffen zwischen Blinken und Präsident Al-Sisi am 7. Februar in Kairo eher ruppig gewesen zu sein.“
Waffenlieferungen an Israel stoppen
Le Soir fordert konkrete Taten vom Westen:
„Der israelische Premier verspricht, den Zivilisten das Schlimmste zu ersparen. Doch mit solchen Versprechen haben sie bereits sehr bittere Erfahrungen gemacht. Und was macht die Welt? Sie bringt ihre 'Besorgnis' zum Ausdruck! Warnt davor, dass eine solche Offensive zu einer 'unbeschreiblichen humanitären Katastrophe' führen würde, so der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Joe Biden höchstpersönlich ist der Ansicht, dass 'viele unschuldige Menschen hungern, viele unschuldige Menschen in Not sind und das muss aufhören'. Dabei wären die Hebel vorhanden: die Lieferung von Waffen an den jüdischen Staat einstellen, wie ebenfalls von Josep Borrell vorgeschlagen.“
Kairo fürchtet Flüchtlingsstrom
Ägypten hat gedroht, den Friedensvertrag mit Israel auszusetzen, wenn Israel Rafah angreift. Index hat Vermutungen, warum:
„Für Kairo wäre es kein großes Problem, wenn die Palästinenser auf der Sinai-Halbinsel bleiben und nach einer gewissen Zeit in den Gazastreifen zurückkehren würden. Doch was passiert, wenn all diese Menschen gen Kairo ziehen? ... Wie soll man eine Menschenmenge von ein, zwei Millionen Personen stoppen? Außerdem haftet den Palästinensern der Ruf an, Revolten und Bürgerkriege anzufangen. [Sie beteiligten sich zum Beispiel am] Bürgerkrieg in Jordanien 1970. ... Es erstaunt deshalb nicht, dass die politische und militärische Führung Ägyptens um jeden Preis den Zustrom von einer Million Palästinensern aufhalten möchte. ... Selbst um den Preis eines offenen Krieges mit Israel.“