Endlich Stabilität in Katalonien?
Die sozialdemokratische PSC hat die Regionalwahl in Katalonien gewonnen, die absolute Mehrheit separatistischer Parteien ist Geschichte: Die bisher regierende ERC rutschte auf den dritten Platz ab, noch hinter Carles Puigdemonts Partei Junts. Kommentatoren analysieren die Gründe und diskutieren, ob PSC-Chef Illa bei der Regierungsbildung – wie Pedro Sánchez in Madrid – auf eine Zusammenarbeit mit den Separatisten setzen sollte.
Erfolgreiche Appeasement-Politik
Für den Tages-Anzeiger ist das Ergebnis vor allem das Verdienst des spanischen Premiers:
„Zurückhaltung, Beschwichtigung, Entgegenkommen, das sind laut Lehrbuch die Pfeiler der sogenannten Appeasement-Politik. ... Sánchez hatte inhaftierte Rädelsführer des illegalen Abspaltungsversuchs von 2017 begnadigt. Er gewährte der Region Milliardenbeträge an Steuererleichterungen und übergab das Netz der Regionalbahnen den Katalanen zur Selbstverwaltung. Zweifellos haben auch andere Faktoren zur Entspannung beigetragen. So haben viele gemäßigte katalanische Nationalisten verstanden, dass ein Dasein außerhalb der EU wirtschaftlich nachteilige Konsequenzen hätte. Doch das Appeasement der Regierung Sánchez war ein entscheidender Faktor auf dem Weg zur Entspannung.“
Bitte keine Koalitionsexperimente
El Periódico de Catalunya hofft auf eine Zusammenarbeit mit den Separatisten:
„Salvador Illa könnte mit Junts paktieren, vor allem, wenn Carles Puigdemont sich zurückzieht, wie er es nach dem bescheidenen Wahlergebnis angekündigt hat. ... Er könnte auch mit Esquerra Republicana und [der Linkspartei] Comuns regieren, aber die Republikaner müssen nach ihrem Einbruch erst mal zur Therapie. ... Nach einem Jahrzehnt emotionaler und institutioneller Achterbahnfahrt verdient Katalonien Stabilität, am besten in Koalition mit den Unabhängigkeitsparteien. ... Neue Experimente sind jetzt nicht angebracht. ... Auf eine Mehrheit mit PP und Vox zu setzen, hätte keinen Sinn.“
Separatisten haben noch Trümpfe in der Hand
Eldiario.es sieht durchaus noch Chancen für ein Unabhängigkeitsreferendum:
„Das 'Katalonien-Problem' ist seit Beginn des 20. Jahrhunderts ein zentraler Bestandteil der spanischen Staatspolitik. Es war immer eine Trennlinie. ... Es stimmt, dass niemand auf Spaniens Selbstauflösung hoffen kann. ... Wenn Esquerra Republicana aber Regierungsvereinbarungen mit der PSC treffen würde, könnte sie vielleicht Druck auf Pedro Sánchez ausüben. ... Es mag utopisch klingen, dass eine spanische Regierung ein verbindliches Unabhängigkeitsreferendum akzeptieren würde, aber die spanische Politik hat uns unter Sánchez genug Überraschungen beschert. ... Systeme agieren taktisch, und sei es nur, um ihr Überleben zu sichern.“
Schon droht ein neues Gespenst
Der Sieg des Sozialisten Illa wird noch nicht die erhoffte Stabilität bringen, fürchtet die Frankfurter Allgemeine Zeitung:
„Der frühere Regierungschef Carles Puigdemont will in sein altes Amt zurück und gibt sich nicht geschlagen. In Barcelona droht ein neues Gespenst, die Blockade, die sich bis nach Madrid auswirken könnte, wo Sánchez’ Minderheitsregierung auf die Unterstützung der katalanischen Separatisten angewiesen ist. Nicht nur die katalanische, auch die spanische Politik leidet an einem lähmenden Problem: Die großen Parteien sind unfähig, stabile Koalitionen zu bilden und lassen sich zu oft von Extremisten treiben.“
Separatisten den Wind aus den Segeln genommen
El País applaudiert Premier Sánchez:
„Die Ergebnisse bestätigen die Politik der Versöhnung und des Dialogs, die Pedro Sánchez in der letzten Legislaturperiode eingeleitet und in dieser fortgesetzt hat. Auch Sánchez hat in der Wahlnacht gewonnen. Illa ist in Katalonien das Gesicht einer PSOE, die mit Begnadigungen oder dem Amnestiegesetz enormes politisches Kapital investiert hat und die Partei im übrigen Spanien teuer zu stehen kam. … Die Separatisten können nicht länger die Opferrolle spielen. Ein für ganz Spanien sehr gravierendes politisches Problem wurde entschärft.“
Anti-separatistisches Bündnis schmieden
Um eine Regierungsbeteiligung der Separatisten zu vermeiden, würde El Mundo bevorzugen, dass die Sozialisten, die konservative PP und die rechtsextreme Vox zusammenarbeiten:
„PSC, PP und Vox haben zusammen 68 Sitze. Tatsache ist, dass es rein rechnerisch möglich wäre, eine die Verfassung bewahrende [nicht-separatistische] Regierung zu bilden. Diese Option wird aber durch die polarisierende Politik der spanischen Regierung in Madrid unmöglich gemacht. Es zeichnet sich ein ungewisses Szenario ab, sowohl für Katalonien als auch für das Land insgesamt.“