Georgien verabschiedet umstrittenes Gesetz
Das georgische Parlament hat trotz anhaltender Massenproteste ein Gesetz über "ausländische Einflussnahme" in dritter und finaler Lesung verabschiedet. Medien und NGOs, die zu 20 Prozent oder mehr aus dem Ausland finanziert werden, würden demnach als Organe gelten, die "Interessen ausländischer Mächte verfolgen", und müssten sich einem engen staatlichen Monitoring unterwerfen. Medien sehen Georgien dabei im Spannungsfeld zwischen Russland und Europa.
Schneller Konsequenzen spüren lassen
Tagesschau.de fordert von Brüssel eine klare Ansage an die georgische Regierung:
„[W]enn es in diese Richtung weiter geht, wird es keine Beitrittsverhandlungen geben. Dafür muss es aber eine klare Frist setzen. Denn das ist ein großes Problem der EU-Erweiterungen, sie zieht sich teilweise über Jahre, ja, gar Jahrzehnte hin. In den vielen Jahren der Untersuchungen, Gespräche, Abstimmungen, Erfassungen wechseln dann die Regierungen, neue Machtzentren entstehen, es kann zu Kriegen kommen, die EU-Begeisterung in der Bevölkerung ebbt ab und am Ende gewinnen die EU-Gegner. ... Der Erweiterungsprozess muss auf jeden Fall schneller gehen, mit Konsequenzen, wenn bestimmte Forderungen nicht erfüllt werden.“
Nicht die erste Krise dieser Art
Der Wirtschaftswissenschaftler Wachtang Partswania verweist in The Moscow Times darauf, dass Georgien 2012 bereits Ähnliches erlebt hat:
„Damals wurde das Parlament von einer anderen Partei, der Vereinten Nationalen Bewegung von Micheil Saakaschwili, dominiert, die bei ihren Versuchen, die Macht zu usurpieren, auch Maßnahmen ergriff, um die politischen Ressourcen der Opposition und die Unabhängigkeit der Medien einzuschränken, friedliche Proteste zu unterdrücken und die Rechte der Bürger einzuengen. Damals endete die Krise mit der Niederlage der Regierungspartei bei den nächsten Parlamentswahlen und der friedlichen Machtübergabe an den Georgischen Traum. Die heutige politische Krise scheint sich nach dem gleichen Szenario auf die Parlamentswahlen im Oktober 2024 hinzuentwickeln.“
Diese Proteste bekräftigen die Ideale der EU
Unabhängig vom Ausgang des Machtkampfes in Georgien sieht Visão in den pro-europäischen Demonstrationen ein ermutigendes Zeichen für ganz Europa:
„Die anhaltenden Proteste der Georgier gegen die erzwungene Annäherung ihres Landes an Russland und für die Beibehaltung ihres Weges in ein vereintes Europa sind derzeit einer der größten Beweise für das Vertrauen in die Richtigkeit des europäischen Projekts - selbst in einer seiner schwierigsten und herausforderndsten Phasen. Die Menschenmassen, die die Straßen von Tiflis füllen und Fahnen mit europäischen Symbolen schwenken, sind das beste Manifest dafür, dass die Stärke der EU in ihren Idealen und Werten liegt.“
Orbán wird Europa noch zahnloser machen
IQ blickt angesichts einer späten Reaktion aus Brüssel mit Sorge auf den anstehenden Vorsitz Ungarns im EU-Rat:
„Das lange Zögern der EU ist eine bedrohliche Warnung, was die Union von Juli bis Dezember erwarten könnte, wenn Ungarn den Vorsitz innehat. Und es geht nicht nur um Georgien, sondern um alle Fragen, in denen [Viktor Orbán], der "ausländische Agent" in der EU, seine Macht ausbauen wird. Es überrascht nicht, dass die EU bis Ende Juni eine Einigung über das 14. Sanktionspaket gegen Russland erzielen und eine Konferenz abhalten will, die den Beginn von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und Moldau ermöglichen würde.“
Georgischer Traum wird russischer Albtraum
Die Lage dürfte sich noch zuspitzen, glaubt Othar Zourabichvili, Vorsitzender der georgischen Vereinigung in Frankreich und Bruder der georgischen Präsidentin, in Le Monde:
„Es steht eine riskante Zeit bevor. Auf die Annahme des Gesetzentwurfs durch das Parlament am Dienstag dürfte ein Veto der Präsidentin folgen, das wiederum von einem letzten Parlamentsvotum überstimmt werden wird. Georgischer Traum will sich weder zurückziehen noch die Macht verlieren und verstärkt die Repression gegen die vorbildlichen Demonstranten. … Auch die Bevölkerung, die zu mehr als 80 Prozent entschlossen Europa zugewandt ist, ist nicht bereit, zurückzuweichen. … Die Maske ist gefallen. Georgischer Traum ist zum russischen Albtraum geworden. Das werden die Georgier nicht akzeptieren.“
Alle Hoffnung gilt nun der Zivilgesellschaft
Georgien droht eine politische Besatzung, warnt Gordonua.com:
„Die Georgier werden auf der Straße verprügelt, mit Gas vergiftet und mit Wasserwerfern attackiert, festgenommen und inhaftiert, aber sie protestieren trotzdem weiter. Es ist so schmerzhaft, diese politische Besetzung des Landes mit anzusehen, die nun mit einem Gesetz über 'ausländische Agenten' abgeschlossen werden könnte, das keineswegs nur symbolischen Charakter hat. Jeder, der sich der pro-russischen Linie der Regierungspartei widersetzen würde, würde beschuldigt, für einen fremden Staat zu arbeiten, und würde bestraft. Das darf nicht zugelassen werden. Das Leben unter Besatzung ist unerträglich.“
Kampf der Generationen
Tvnet vergleicht die Proteste mit dem Maidan in der Ukraine:
„Es handelt sich um einen Generationenkampf zwischen der alten Generation der Sowjetbevölkerung, die den Russen weiterhin folgen will, und der jungen Generation, die nicht von Russland abhängig bleiben will. Junge Menschen wollen sich Europa anschließen, aber dem Kreml und seinen Anhängern in Tiflis gefällt das natürlich nicht. ... Die Situation in der Hauptstadt Georgiens ähnelt zunehmend den früheren Ereignissen in Kyjiw. Also dem, was auf dem Maidan-Platz in Kyjiw im Jahr 2013 geschah. ... Schon jetzt ist klar, dass die Proteste weitergehen werden.“
Brüssel im Dilemma
Sanktionen der EU gegen Georgien würden Russland in die Karten spielen, warnt der Tages-Anzeiger:
„Sollte die EU die Visafreiheit für Georgier aussetzen? Sogar mit dem Entzug des Beitrittsstatus drohen? Alles heikel. Brüssel würde damit zwar der Regierung deutlich machen, dass es um viel geht. Aber es würde auch für Jahre eine Bevölkerung enttäuschen, die mit überwältigender Mehrheit nach Europa will. Für Moskau wäre es ein Erfolg, sollte die EU sich abwenden. Und er würde es Russland erleichtern, auch den Druck auf Georgiens Nachbarland Armenien zu erhöhen, das gerade zaghaft dabei ist, sich von Russland zu emanzipieren und der EU zuzuwenden. Für Brüssel ist all dies ein Dilemma.“
Schon im Herbst kann es wieder anders aussehen
Der Standard erwartet bei den anstehenden Parlamentswahlen einen Regierungswechsel:
„Im Südkaukasus versuchen die Regierungen ... seit Jahren den politisch-wirtschaftlich-militärischen Spagat zwischen dem EU-Nato-Block und Russland. ... Die georgische Bevölkerung scheint sich nun ... endgültig entschieden zu haben. ... Die Demonstranten werden ihr kurzfristiges Ziel, den Stopp des Gesetzes, wohl nicht erreichen. Schon im Herbst haben sie aber die Möglichkeit, die vom prorussischen Oligarchen Bidsina Iwanischwili orchestrierte Regierungspartei Georgischer Traum abzuwählen und durch eine solche zu ersetzen, die auch der Mehrheitsmeinung in Richtung EU- und Nato-Beitritt entspricht.“