Wie muss Europa die IS-Miliz bekämpfen?
Die Debatte darüber, wie die IS-Miliz bekämpft und Terroranschläge verhindert werden können, geht nach den jüngsten Ereignissen in Frankreich und Deutschland unvermindert weiter. Dabei richten Kommentatoren ihr Augenmerk auf die Radikalisierung muslimischer Jugendlicher und fragen, wie diese verhindert werden kann.
Werteloser Westen enttäuscht junge Muslime
Die von Materialismus und Oberflächlichkeit geprägten westlichen Gesellschaften haben Jugendlichen auf der Suche nach Sinn nichts zu bieten, kritisiert der Irish Independent:
„Vielleicht sehnen sich einige junge Menschen ja nach einem größeren Ziel im Leben als dem Erwerb des jeweils neuesten elektronischen Geräts. Womöglich wünschen sie sich ein Vorbild, das ein klein wenig hochgeistiger ist als die Mitglieder der Reality-TV-Familie rund um Kim Kardashian oder als irgendein hohlköpfiges Promi-Model, dem sie nacheifern sollen. Wenn wir nicht das gleiche bieten wie die IS-Dschihadisten - ein großes Ziel im Leben, das einige junge Menschen erreichen wollen -, dann werden wir den Kampf der Werte verlieren. Wir wissen, 'der Menschen lebt nicht vom Brot allein', und in unserer Fixierung auf wirtschaftliche Fragen übersehen wir vielleicht die Anziehungskraft einer visionären Idee auf die Jugend - wie fehlgeleitet dieses auch immer sein mag.“
Sicherheit im Urlaub geht vor
Nach den Anschlägen patrouillieren auch in Frankreichs Ferienorten Soldaten mit Maschinengewehren. Das trübt gewiss die Urlaubsfreude, ist aber die richtige Maßnahme, findet das Webportal Protagon:
„Wenn Hubschrauber über den Köpfen der Menschen kreisen, ist dies allein nicht erschreckend? Und wenn man Polizeiautos neben den Eiswägen und schwer bewaffnete Einsatzkräfte inmitten der mit Sonnenöl eingeriebenen nackten Körper sieht, löst dies nicht Panik aus? ... Doch jede Veränderung, die mehr Sicherheit zum Ziel hat, ist willkommen. In Dunkerque verlegte man etwa die Route der [Mariä-Himmelfahrts-]Prozession. Man vermied große Straßen und wich auf Gassen aus. Dort kann niemand einen Angriff mit einem riesigen Lkw durchführen, so wie in Nizza, wo innerhalb weniger Minuten 84 Personen getötet wurden.“
So macht der Kampf gegen Extremismus Schule
Gelehrte der renommierten islamischen Azhar-Universität in Kairo haben Pläne für eine reformierte Imamausbildung vorgestellt. Nur die Absolventen einer neuen, staatlich kontrollierten Schule sollen künftig die Erlaubnis erhalten, in Moscheen zu predigen. Das Projekt könnte bahnbrechend sein, lobt The Times:
„Religiöse Autoritäten sind am besten dazu geeignet, Extremismus zu bekämpfen. Versuche von Regierungen, Moscheen polizeilich zu überwachen, Predigten zu bespitzeln oder entfremdete junge Männer zu deradikalisieren, sind selten erfolgreich. Für diese Erkenntnis hat Großbritannien teuer bezahlen müssen. Der Rat der Moscheen in Großbritannien hat bereits ein bewundernswertes Programm zur Verbesserung der Imamausbildung ins Leben gerufen. Wenn die Al-Azhar-Universität nun imstande ist, so etwas für die weitere sunnitische Welt zu tun, könnte Ägypten den Weg bereiten für einen nachhaltigen Schutz der Hauptströmung des Islam gegen das verheerende Wüten des Extremismus.“
'Generation Allah' nicht vernachlässigen
Ein Appell, sich um die Kinder und Jugendlichen zu kümmern, damit sie sich nicht radikalisieren, ist in der Zeitung Svenska Dagbladet zu finden:
„Man darf nicht die Subkultur unterschätzen, die sich heute unter jungen Menschen verbreitet, mit einem Weltbild, das völlig anders ist als unseres und in dem Gewalt als Teil des Kampfes gilt: Diese Warnung kommt von dem Psychologen Ahmad Mansour, der in Berlin erfolgreich im Bereich Deradikalisierung arbeitet. Er hat den Begriff der 'Generation Allah' geprägt, deren salafistisches Weltbild Terrorismus hervorbringt. … Wir müssen uns fragen: Was ist die Gesellschaft bereit zu tun, um zu verhindern, dass Kinder Teil dieser neuen, destruktiven Bewegung werden?“
Terrorgeplagtes Belgien braucht kühlen Kopf
In Belgien hat am Samstag ein aus Algerien stammender Attentäter zwei Polizistinnen mit einer Machete angegriffen und verletzt. Er verfügte über keine Aufenthaltserlaubnis. Doch es wäre fatal, Zuwanderer nun unter Generalverdacht zu stellen, mahnt Le Soir:
„Es ist im Interesse aller, in den kommenden Monaten einen kühlen Kopf zu bewahren. Da bekannt ist, dass der Attentäter von Charleroi sich illegal im Land aufhielt und es hätte verlassen müssen, ist das Risiko groß, dass das Thema illegale Einwanderung in naher Zukunft das friedliche Zusammenleben belastet. Personen ohne gültige Papiere könnten verdächtigt werden, Sympathien für die IS-Miliz zu hegen. Abgewiesene Asylbewerber könnten als potenziell gefährlich betrachtet werden. Misstrauen und Abschottung könnten sich breit machen. So würde sich zur Psychose noch mangelnde Menschlichkeit dazugesellen. Da haben wir Besseres verdient.“
Europäische Verteidigung ist frommer Wunsch
Die EU muss sich endlich am Krieg gegen die Terrormilz IS beteiligen, fordert die Tageszeitung La Stampa:
„Den Terrorismus besiegt man nicht in Nizza, München, Istanbul oder Dhaka. Dort muss man sich verteidigen, die Schäden begrenzen. ... Den Krieg gewinnt man in [der syrischen IS-Hochburg] Raqqa und in [der libyschen IS-Hochburg] Sirte. ... Rom zögert noch in Libyen, obgleich es für sich eine theoretische Führungsrolle beansprucht. Es beteiligt sich mit minimalem Einsatz im Irak, wo es immerhin die Mosul-Talsperre überwacht. Italien tut also etwas, wenn auch wenig. Vollkommen abwesend ist hingegen die EU, die stattdessen wieder von Initiativen für eine 'europäische Verteidigung' träumt - auf dem Papier. Solange Europa nicht überlegt, wie es sich an dem Krieg gegen den IS beteiligen will, ist das nur ein frommer Wunsch. Nur so kann es die Zentrale des Terrorismus aushebeln, der sie mit Blut befleckt.“
Gegen Terror helfen nur stabile Staaten
Die territorialen Rückschläge können der IS-Terrormiliz wenig anhaben, solange sie von der politischen Instabilität der umkämpften Länder profitiert, analysiert Le Figaro:
„Zwar wurden Schlachten gewonnen, doch ist der Krieg gegen die islamistische Hydra noch lange nicht beendet. Die in Libyen sowie in Irak und Syrien herrschende Anarchie bietet gute Voraussetzung für die Soldaten des IS, um in den Untergrund zu gehen und ihre Handlungsweise zu ändern. Anstatt sich als organisierte Kampfeinheiten zu präsentieren, verwandeln sie sich immer mehr zu Kamikazen im Herzen der Städte - genau wie die Terroristen von al-Qaida. Das Attentat Anfang Juli in Bagdad war mit rund 320 Todesopfern eines der verheerendsten der irakischen Geschichte. So lange diese Länder nicht zur politischen Stabilität zurückfinden, wird Terror vorherrschen. Die immense Herausforderung, vor der die internationale Gemeinschaft steht, um dem Terror ein Ende zu setzen, ist der Aufbau echter Staaten.“
Europa hat überhaupt keinen Plan
Angesichts von Terror, des Kriegs in Nahost und der Flüchtlingskrise ist Europa in Hilflosigkeit erstarrt, kommentiert der Theologieprofessor Michał Wojciechowski in einem Gastbeitrag für Rzeczpospolita:
„Jetzt - auf dem Höhepunkt der ganzen Konflikte - wirkt das Handeln Europas planlos und defensiv. Es weiß weder, wie es auf den Krieg in seiner Nachbarschaft noch wie es auf den Zustrom der Migranten reagieren soll. Und die Zeit läuft dem Kontinent davon. Dieses Problem hat seine Ursachen darin, dass viele Politiker, die demokratisch gewählt wurden, einfach nicht gut sind. Das heißt, sie sind lediglich gut darin, in unverantwortungsvoller Art und Weise Versprechungen zu machen. Sie wollen nur einen guten Eindruck machen. Weitere Gründe sind die Multikulti-Ideologie sowie die Politiker, die sich nur daran orientieren, das ihr Verhalten stets politisch korrekt ist.“
Sarkozy will Rechtsstaat opfern
In Frankreich sind 10.000 potentielle islamistische Gefährder in der Akte S (Fiche S) gelistet. Oppositionschef Nicolas Sarkozy fordert den Arrest all dieser Terrorverdächtigen. Für Dagens Nyheter eine erschreckende Entwicklung:
„Menschen einzusperren, die für kein Verbrechen verurteilt sind, ist rechtswidrig und wird mit anderen Regierungsformen als der Demokratie verbunden. Der Vorschlag wäre schon schlimm genug, käme er von Marine Le Pen vom Front National. Aber er kommt von einem früheren Präsidenten und dem Chef der konservativen Partei, der für die kommende Präsidentschaftswahl kandidieren will. ... Dass in einem der größten Länder Europas in weniger als einem Jahr eine Präsidentschaftswahl stattfinden könnte, bei der der eine Hauptkandidat von einer rechtsextremen Partei gestellt wird und der andere Respekt für die Verfassung und die Prinzipien des Rechtsstaats vermissen lässt, ist milde gesagt beunruhigend.“
Anti-IS-Koalition gießt Öl ins Feuer
Bei Luftangriffen durch die internationale Anti-IS-Koalition sind am 18. und 19. Juli mehrere Zivilisten in Syrien getötet worden. Erst am 27. Juli hat das Bündnis offizielle Untersuchungen eingeleitet, um die Verantwortung zu klären. So stärkt die Koalition ihren Feind, warnt Le Courrier:
„Acht Tage nach den Ereignissen wusste die Allianz, die aus rund zehn Länder besteht, darunter die USA, Frankreich, Großbritannien und mehrere Golfstaaten, angeblich nicht, welche Flieger die Bomben abgeworfen haben. … Wie dem auch sei, der Mythos chirurgischer Luftangriffe hält sich erstaunlich lange. Wie viele der 770 Bombardierungen auf Syrien und Irak, die Frankreich seit September 2015 vorgenommen hat, haben Zivilisten getroffen? Wie viele ihrer Angehörigen, Freunde und Nachbarn unterstützen wohl den IS, um sich für die 'westliche Aggression' zu rächen? Und wie viele in Europa lebende verrückte Fanatiker werden diesen Vorwand nutzen, um Terroranschläge zu verüben? Die Geschichte hat gezeigt, dass eine sich beschleunigende Kriegslogik den terroristischen Dämon immer stärker macht.“
Weniger Sicherheitswahn, mehr europäische Werte
Im Kampf gegen den Terror darf Europa eben nicht den USA nacheifern und im Sicherheitswahn die Demokratie schwächen, warnt El Periódico de Catalunya:
„In Europa gibt es nicht nur einen 11. September. Nach dem Attentat auf Charlie Hebdo oder den Anschlägen im November hielt François Hollande Reden, die von George Bush hätten stammen können. Frankreich hat im Namen der Sicherheit Maßnahmen ergriffen, die Bushs Patriot Act sehr ähnlich sind. ... Seit dem 11. September reagieren wir auf Anschläge nur mit Sicherheit und Militär. Europa ist verängstigt und imitiert die USA, mit demselben Ergebnis: Je größer der Sicherheitswahn, desto unsicherer die Welt. Europa darf jetzt aus Angst nicht einknicken und seine Werte verraten. Die Sicherheitspolitik sollte man im Kampf gegen den Dschihadismus nicht überbewerten (aber ernst nehmen). Vielleicht sollten wir in diesem Kampf der Politik in ihrem weitesten Sinn eine Chance geben. Wenn Europa aufhört, Europa zu sein, sind wir geschlagen.“
Terroristen sind gewöhnliche Verbrecher
Terroristen sind nichts weiter als gewöhnliche Kriminelle, weshalb die französische Regierung sie auch so behandeln sollte, rät Guy Sorman auf seinem Blog bei L’Hebdo:
„Es ist höchste Zeit, dass die französische Regierung versteht, dass wir uns nicht im 'Krieg' gegen den Islam oder den Islamismus befinden, sondern mit gewöhnlichen Verbrechern konfrontiert sind, für die der Dschihad ein Deckmantel ist. ... Alle sogenannten Dschihadisten in Frankreich und Belgien hatten zuvor Verbrechen begangen, waren von der Polizei festgenommen worden und litten an psychischen Störungen, die von ihren Familien und Ärzten erkannt worden waren. Es bringt daher rein gar nichts, junge Soldaten an den Stränden und in den Pariser Straßen patrouillieren zu lassen, wie es Hollandes Regierung völlig irregeleitet tut. Der Kampf gegen dieses neue Banditentum erfordert eine vorherige Überwachung, eine Koordination zwischen Polizei und Justiz sowie eine dauerhafte Inhaftierung von gefährlichen Verurteilten.“
Dahinter steckt kein Wahnsinn sondern System
Wer die Attentäter nur mit dem Label psychisch krank versieht, unterschätzt sie und ihre Agenda, erklärt hingegen der Kriegsberichterstatter von La Stampa, Domenico Quirico, der 2013 Geisel des IS in Syrien war:
„Der Dschihadismus ist leider kein klinischer Fall, der dem Hohen Rat der Psychiater anvertraut werden kann. Er ist ein politisches, religiöses, militärisches Problem. Von der Richtigkeit der Diagnose hängt die Therapie ab. ... Nach fünf Jahren, in denen der weltweite Angriff des totalitären Islam von Syrien und dem Irak bis in das Herz unsere Städte vorgedrungen ist, herrscht eine vehemente Unkenntnis der Natur des Feindes, die zum Verzweifeln ist! ... Die Dschihadisten, auch die einsamsten und ausgeschlossensten, sind Instrumente eines politisch-religiösen Projekts, das den Gottesstaat auf Erden schaffen will. Für diese Seifenoper der göttlichen Immanenz scheuen sie kein Opfer, auch nicht den Tod. Das ist grausame Politik, totalitäre Religion, kein Wahnsinn.“
Null Toleranz für kriminelle Migranten
Nach den gehäuften Attentaten der vergangenen Tage verlieren die Menschen zunehmend das Vertrauen in die Fähigkeit der Politik, Sicherheit zu gewährleisten, schreibt Právo und verlangt nach einem stärkeren Staat:
„Wenn die Europäer nicht zu Opferlämmern werden wollen, dann müssen sie beginnen, von ihren Regierungen eine Null-Toleranz-Politik einzufordern. Gerichtet gegen jene Migranten, die die Gesetze in Europa nicht einhalten wollen. ... Eine solche Politik liegt auch im Interesse all jener Migranten, die den Willen und die Bereitschaft mitbringen, sich zu integrieren. ... Es ist nicht akzeptabel, dass jemand aus ernsthaften Gründen verfolgt und verhaftet wird, dann aber - wie im Fall der Ermordung des französischen Priesters - in den Hausarrest entlassen wird. Bei Risiko-Migranten darf man auch Bagatelldelikte nicht kleinreden. Sie könnten das Vorspiel zu einem Terrorangriff sein.“
Keine Muslime ins Land lassen
Die Sicherheitsbehörden in Frankreich und Deutschland gehen nicht hart genug gegen potentielle Terroristen vor, wettert das Onlineportal News.bg mit Blick auf die jüngsten Attentate in beiden Ländern:
„Die meisten Attentäter waren schon vor ihren blutigen Taten wegen krimineller Vergehen polizeibekannt. ... So kommt das Gefühl auf, dass man in Frankreich und Deutschland ungestraft davonkommt. ... Das rührt daher, dass Migranten aus dem Nahen und mittleren Osten und Nordafrika dieselben Rechte zugesprochen bekommen [wie die Einheimischen], aber nicht dieselben Pflichten. ... In den Visegrád-Staaten und insbesondere in Polen und Ungarn stehen die Dinge anders. Dort schlägt die Polizei zu, aber nicht erst wenn unschuldige Opfer sterben, sondern davor. ... Diese Länder lehnen die Aufnahme muslimischer Flüchtlinge ab und dort gibt es keine Terroranschläge. Die Visegrád-Gruppe kann als Beispiel für EU-Reformen dienen, wenn es nicht schon zu spät ist.“
Terror geht vom Individuum aus
Die Ursachen für Terrorismus liegen nicht in irgendeiner Religion oder Staatsangehörigkeit, sondern sind immer Ergebnis individueller Entscheidungen, erklärt Vuk Perišić auf Tportal.hr:
„Es existieren also menschliche Wesen, die bereit sind ihr eigenes Leben für etwas zu opfern, das sie als ihr Ideal begreifen. Diese Form von Autodestruktivität hat nichts mit dem Islam zu tun. Ebensowenig wie die selbstmörderische Entscheidung der deutschen Wähler im Herbst 1932 mit dem 'nationalen Charakter' der Deutschen zu tun hat. In beiden Fällen geht es um eine mentale Störung, aber vor allem immer um eine individuelle Entscheidung, mit der man seinem eigenen Tod oder Leiden zustimmt. Der einzige Unterschied ist, dass im Falle des Terrorismus der Tod sofort eintritt, während das Leben derer, die Nazis oder Nationalisten wählen, langsam verfault.“