Türkei: Was treibt die jungen Leute ins Exil?
Mehr als 250.000 Türken sind 2017 ausgewandert - 42 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Das geht aus türkischen Statistiken hervor. Und es sind vor allem junge, gut ausgebildete Menschen aus den Großstädten, die ihrem Land den Rücken kehren. Während türkische Journalisten über die Beweggründe der Emigranten schreiben, sieht ein französischer Kommentator Parallelen zu einem anderen Land.
Für eine bessere Zukunft der Kinder
Die Menschen sind in Sorge um ihre Kinder und wandern ab, weil sie in der Türkei keine Zukunftsperspektive sehen, analysiert Cumhuriyet:
„Das Bildungssystem unseres Landes ist schlecht und es gibt einen harten Wettbewerb, um für eine etwas bessere Ausbildung auf die Schulen mit einem vermeintlich besseren Ruf zu kommen. Denn die Nachfrage ist zu hoch. Laizistischen Familien mit gutem Einkommen missfällt, dass die Regierung den Schulen einen Lehrplan auferlegt, sie in Koranschulen umwandelt und dass die Qualität der Ausbildung generell schlecht ist. Es gibt Privatschulen, doch die sind sehr teuer. ... Hinzu kommen die Polarisierung des Landes und die wirtschaftliche Instabilität.“
Die Autokratie hat ihren Preis
Es sind zwar auch wirtschaftliche Gründe, die die Türken zur Emigration treiben, erläutert Journalist Anthony Bellanger auf France Inter, und fügt hinzu:
„Doch das erklärt noch nicht, dass das, was die Türken bereits einen 'massiven Braindrain' nennen, so viele und so viele Junge betrifft. ... Wobei die Türkei nicht das einzige Land ist, aus dem die Hochqualifizierten auswandern. Russland ist davon ebenso betroffen. Egal wie es wirtschaftlich gerade läuft, 300.000 Russen pro Jahr entscheiden sich fürs Exil. … Ein Drittel der russischen Studenten will auswandern, genauso wie einer von fünf Moskauern. Ich würde sagen, dass diese Emigration der Hochqualifizierten der Preis für Autokratie und Brutalität ist. Russland und die Türkei rühmen sich ihrer wiedergefundenen 'Größe' - während still und leise Zehntausende Reisepässe ausgestellt werden.“
Nur Geisteskranke verlassen ein Paradies
Die Motive der Auswanderer sind aus der Luft gegriffen, schimpft die regierungstreue Tageszeitung Sabah:
„Das Sinnvollste wäre, diejenigen, die unsere wunderschöne Türkei verlassen und im Ausland als Migranten leben wollen, auf ihre geistige Gesundheit hin zu untersuchen. ... Man könnte meinen, dass sie sehbehindert sind. Sie ignorieren, wie stark unser Land ist, das am 15. Juli [2016] einen Putschversuch erlebte und fast täglich einen erbitterten Kampf gegen den Terrorismus führt, und wie erfolgreich es seine Demokratie bewahrt. ... Mal sehen, ob ein reicher Türke, der sein Milliarden Dollar schweres Vermögen nach England transferiert, angesichts des Brexit begreift, was wirklich eine 'Krise' ist?“