Niederlande bitten Juden um Verzeihung
Der niederländische Premier Mark Rutte hat während der nationalen Holocaust-Gedenkveranstaltung am Sonntag erstmals offiziell für das Verhalten des Staats gegenüber den Juden im Zweiten Weltkrieg um Entschuldigung gebeten. Beamte hätten zu wenig getan, um jüdische Mitbürger vor Verfolgung zu schützen. Niederländische Medien beschäftigen sich damit, warum diese Entschuldigung erst jetzt kommt.
Historisches Eingeständnis
De Volkskrant würdigt Ruttes Worte als historische Wende:
„Die Viktimisierung stand zu lange der Anerkennung von Kollaboration und Mitschuld im Weg. ... Ob es um die Sklaverei-Vergangenheit geht, den Kolonialismus oder den Krieg in Indonesien: Immer kommt die Selbstbefragung nur stockend in Gang und bleiben die Entschuldigungen aus. ... Auch vor diesem Hintergrund sind die reuevollen Worte von Rutte historisch: Sie markieren eine zunehmende Bereitschaft, Fehler anzuerkennen. ... Dass die erste Entschuldigung die Schoah betrifft, ist allerdings eine historische Notwendigkeit. Von allen Katastrophen war die Schoah zweifellos die zerstörerischste.“
Land der schuldigen Zuschauer
NRC Handelsblad verweist auf den Wandel des historischen Selbstbildes:
„Im Laufe der Jahrzehnte wurde die niederländische Scham über den Holocaust immer größer. Vor allem, nachdem in den 1970er Jahren internationale Studien über die Judenverfolgung zeigten, dass die Deportation von den 102.000 niederländischen Juden während des Zweiten Weltkriegs außergewöhnlich glatt verlaufen war, veränderte sich das Selbstbild der Niederlande. An die Stelle des Bildes der Niederlande als Widerstandsland trat das vom einzigen westeuropäischen, von Nazi-Deutschland besetzten Land, von dem drei Viertel der jüdischen Bevölkerung ermordet wurden. ... So wurde aus den Niederlanden ein Land der 'schuldigen Zuschauer'.“