Anne Frank: Was bedeutet die neue Verratstheorie?
Ein Rechercheteam aus unter anderem Kriminologen und einem FBI-Ermittler hat am Montag seine Erkenntnisse darüber veröffentlicht, wer 1944 das Versteck von Anne Frank und sieben weiteren Menschen verraten haben könnte. Ein jüdischer Notar soll sich dadurch selbst vor der Deportation geschützt haben. Historiker warnen vor voreiligen Schlussfolgerungen und üben Kritik an der Inszenierung der Enthüllung.
Kein Fall für eine True-Crime-Story
NRC Handelsblad gibt der Kritik recht:
„Große Beweise wurden nicht gefunden gegen den dennoch namentlich genannten Verdächtigen. Der kann sich nicht mehr verteidigen, aber ist nun für alle Zeit der Schuldige. ... Zum Medienformat des Genres [True Crime] wurde offensichtlich der passende Täter gefunden. Auch die Enthüllungsregie wurde dem unterworfen. Eine strenge Sperrfrist erlaubte es nicht, die Erkenntnisse vorher von Experten prüfen zu lassen. … Heraus kam ein 'Trial by Media', zu dem man erst im Nachhinein die notwendigen kritischen Anmerkungen sammeln konnte.“
Falscher Fokus auf den Täter
Ob Anne Frank von einem Juden verraten wurde, ist letztlich unwichtig, findet Danas:
„Gibt es eine gewisse Schadenfreude oder Erleichterung dadurch, dass sie wahrscheinlich von einem jüdischen Mitbürger verraten wurde? Macht es dies einfacher? … Hat dies mit ekelhaften antisemitischen Verschwörungstheorien zu tun? ... Das Wichtigste ist, dass ein (muss man dies überhaupt betonen?) unschuldiges fünfzehnjähriges Mädchen ermordet wurde. Und solange für uns nicht diese Tatsache im Fokus steht, sondern die 'Entdeckung', dass ein jüdischer Mitbürger zu ihrem Tod beigetragen hat, sind wir diejenigen, die sie erneut verraten.“