Was führte zur Eskalation in Gaza?
Die Eskalation der Gewalt an der Grenze zu Gaza, wo bei einem Einsatz der israelischen Armee gegen palästinensische Demonstranten und Hamas-Ziele mindestens 60 Palästinenser starben, treibt Europas Journalisten weiterhin um. Unter den aktuellen Pressestimmen finden sich ein Beitrag zum "Opfermythos" Palästinas und Kritik an der Hamas, wonach diese die palästinensische Zivilgesellschaft missbraucht habe.
Hamas hat Bürgerproteste schamlos missbraucht
Die Hamas hat die Situation bewusst eskalieren lassen, urteilt der Tages-Anzeiger:
„Was als Bürgerprotest im Gazastreifen am 30. März begonnen hat, ist von der radikalislamischen Hamas für ihre Zwecke missbraucht worden. Die Hamas trägt durch den Aufruf, die Grenze zu Israel zu durchbrechen, Mitverantwortung für die Eskalation der Gewalt. ... Der Hamas ist es ... gelungen, dass sich die zunehmende Wut der Palästinenser über ihre eigene Führung wieder voll auf Israel und die USA richtet ... Dabei waren es Vertreter der Zivilgesellschaft, die ursprünglich den 'Marsch der Rückkehr' organisierten. Diese Bürger wollten aus Anlass des 70. Jahrestags der Staatsgründung Israels an Flucht und Vertreibung der Palästinenser erinnern.“
Palästinenser müssen ihren Opfermythos aufgeben
Der Chefredakteur des Observador, José Manuel Fernandes, sieht vor allem auf palästinensischer Seite ein Hindernis für den Frieden:
„Es ist einfach und sehr beliebt, Israel für alle Massaker verantwortlich zu machen. Es ist schwieriger zu erkennen, dass es niemals Frieden geben wird, wenn sich die Palästinenser weiterhin hinter ihrer mythenumwobenen Viktimisierungskultur verschanzen. Nakba ist der Identitätsmythos, den die Palästinenser feiern - ein Mythos, der, solange er verherrlicht wird, den Frieden unmöglich macht. ... Die Frage, die sich stellt, ist folgende: Werden die Palästinenser jemals dieses Trauma überwinden? Werden sie in Nakba jemals eine der Grundlagen ihrer Identität sehen statt einer Katastrophe, die gerächt werden muss? Solange dies nicht geschieht, werden sie keinen Staat aufbauen können, der in der Lage ist, neben Israel zu existieren.“
So verprellt man Freunde, die man noch braucht
Mit seinem harten Vorgehen gegen Demonstranten hat Israel weltweit Sympathien verspielt, kommentiert Ria Nowosti:
„Die USA verlieren an Einfluss und Stärke. Es ist nicht auszuschließen, dass ihre Möglichkeiten zum Schutz Israels eines Tages erschöpft sein werden - und dann steht das Land alleine den Nachbarn gegenüber, die es einvernehmlich vernichten wollen. Ein Nationalfeiertag in Verbindung mit Massenerschießungen, die weltweit live übertragen werden: Das sieht aus, als gieße jemand bewusst Öl ins Feuer. Als Folge eines derartigen Vorgehens ist es durchaus möglich, dass Israel feindlichen Kräften, die seine eigenen um ein Vielfaches übersteigen, bald alleine entgegen treten muss. Und dann wird die Hilfe anderer Staaten für Israel von großer Bedeutung sein. Doch wird diese Hilfe auch kommen?“
EU muss Waffenembargo verhängen
Die EU sollte mit Konsequenzen auf das Vorgehen Israels reagieren, fordert Philippe Hensmans, Chef von Amnesty International Belgien, in Le Soir:
„Es ist höchste Zeit, dass ein umfassendes Waffenembargo gegen Israel verhängt wird: keine Waffen und keine Militärausrüstung, so lange die Menschenrechtsverletzungen andauern. Die USA haben Israel für das kommende Jahrzehnt militärische Unterstützung in Höhe von 38 Milliarden Dollar zugesagt. Für einen Kurswechsel können wir möglicherweise nicht sofort auf die derzeitige Führung der USA setzen. Die EU-Mitgliedsstaaten liefern aber ebenfalls Waffen und Militärgüter an Israel. Die EU sollte endlich einmal den Anfang machen, ihre eigenen Gemeinschaftsregeln bezüglich des Exports von Waffen einhalten und sämtliche Waffenlieferungen an Israel einstellen.“
Hamas macht Druck
Bei den jüngsten Unruhen an der Grenze des Gazastreifens zu Israel sind laut Hamas überwiegend deren Mitglieder getötet worden. Der Politiker und Experte für Außenpolitik Gianni Vernetti beleuchtet in La Stampa die Rolle der radikalislamischen Palästinenserorganisation:
„Die Radikalisierung des Konflikts im Gazastreifen bedeutet eine doppelte Kampfansage der Hamas: An Israel aber auch an die Palästinensische Autonomiebehörde und deren Präsidenten Mahmud Abbas. ... Die Hamas verfolgt das Ziel, die Führungsrolle in der palästinensischen Welt zu übernehmen und wird dabei vor allem vom Iran unterstützt. Zu Beginn des syrischen Bürgerkriegs schlug die Hamas ihr Hauptquartier in Damaskus auf. In der syrischen Hauptstadt hat sich die Achse Iran-Hisbollah-Hamas gefestigt.“
Inszenierung der Hamas
Die Verantwortung der Hamas für die Toten und Verletzten sollte nicht außer Acht gelassen werden, erinnert Sydsvenskan:
„Die islamistische Hamas hat das ausdrückliche Ziel, den Staat Israel mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu vernichten. ... In dem Konflikt geht es um Land, aber der Hass der Hamas gegenüber Israel entspringt dem Judenhass und religiösem Fanatismus. ... Das ist eine maximalistische, kompromisslose Haltung, die keinen Raum lässt für Verhandlungen oder ein friedliches Miteinander. ... Gaza wird gern als größtes Freiluft-Gefängnis der Welt beschrieben. ... Wie in allen Gefängnissen befinden sich die Gefängniswärter im Inneren. Gazas Bevölkerung ist die Geisel der Hamas. ... Dass der Totentanz um die Grenze zwischen Israel und Gaza von der Hamas inszeniert ist, sollte Schwedens Außenministerin begreifen.“
Palästinenser werden entmenschlicht
Die Behauptung, die Proteste an der Grenze zum Gazastreifen seien von der Hamas angestachelt worden, findet die Tageszeitung Le Monde in ihrem Leitartikel hingegen abwegig:
„Die Bewohner Gazas benötigen keine Ermunterung von der Hamas, um sich auf den israelischen Stacheldraht zu stürzen, in der verrückten und illusorischen Hoffnung, das Land ihrer Vorfahren zu erreichen und ihrem Gefängnis zu entkommen. ... Dieser 'schwarze Montag' zeigt auch, dass ein Großteil der israelischen Politik und Gesellschaft die Palästinenser quasi vollkommen entmenschlicht, als seien sie reine Gefolgsmänner der Hamas. Dabei beweist die Bewegung der 'großen Rückkehr' [die jüngsten Proteste], dass sich die palästinensische Gesellschaft für zivilen und von breiten Bevölkerungsschichten gestützten Protest entschieden hat, und gegen Terrorismus und Waffen.“
Böses Spiel auf allen Seiten
Wer vom Blutvergießen im Gazastreifen profitiert, erläutert Der Standard:
„Israels Premier Benjamin Netanjahu, innenpolitisch massiv unter Druck, spielt den entschlossenen Verteidiger des Heimatlandes und zeigt hochmütig auf die Gewaltbereitschaft der Palästinenser. Die Hamas fühlt sich wiederum wohl in ihrer Opferrolle und lenkt damit vom eigenen politischen, wirtschaftlichen und administrativen Versagen ab. Trump sieht sich durch den Applaus für die Botschaftsverlegung vonseiten der israelischen Öffentlichkeit und der evangelikalen Lobby im eigenen Land ... in seiner irren Entscheidung bestärkt.“
Israel darf nicht davonkommen
Die Reaktion der internationalen Gemeinschaft auf die Ereignisse an der Grenze zu Gaza empört De Volkskrant:
„Die Gelassenheit oder sogar Gleichgültigkeit, mit der die internationale Gemeinschaft auf die Entwicklungen reagiert, ist besorgniserregend. Es kann nicht sein, dass Israel trotz der tödlichen Repression und aggressiven Siedlungspolitik davonkommt, nur weil die Hoffnung auf eine Zweistaatenlösung verflogen ist. ... Solange Israel internationale Absprachen ignorieren kann, bleibt das Unrechtsempfinden der Palästinenser bestehen. Das ist wiederum die Existenzgrundlage der Hamas, die eine permanente Bedrohung für Israel darstellt. Dieser Teufelskreis muss beendet werden.“
Nichts rechtfertigt diese Gewalt
Die israelische Armee hat völlig unverhältnismäßig auf die palästinensischen Proteste reagiert, findet das katholische Magazin Gość Niedzielny:
„Israel muss seit 70 Jahren Angriffe der verfeindeten Nachbarn abwehren. Das vergisst die Welt oft und ergreift Partei für die Palästinenser, die immer wieder Raketen in Richtung Israel schicken. Aber bis auf das Außer-Gefecht-Setzen von Attentätern, die die Grenze mit Sprengsätzen stürmen wollten, hat Israel völlig unverhältnismäßige Mittel gegenüber den größtenteils wehrlosen Menschen eingesetzt. Kein Philosemitismus, auch nicht der tiefste biblische, bietet eine Grundlage dafür, das zu verteidigen, was Netanjahu und sein Team aus Nationalisten tun. Im Gegenteil, gerade der Philosemitismus sorgt dafür, dass es besonders weh tut.“
Trump ist verantwortlich
Die vielen Toten in Gaza gehen auf das Konto von US-Präsident Trump, meint Aftonbladet:
„Was ein freudiger Tag für Israel ist, schlägt um in Trauer um Palästina. Und das ist Donald Trumps Schuld. ... Die Wurzel der Probleme ist die israelische Besatzung. Krieg und Kriegsgefahr sind für beide Seiten zur neuen Normalität geworden. Die Mauer, die Soldaten, der Terrorismus und der Machtmissbrauch - ein bitteres Gift von Generation zu Generation von Israelis und Palästinensern weitergegeben. Auf lange Sicht gibt es keine Gewinner, nur Opfer und Täter, Täter und Opfer in einer Todesspirale. Mit Donald Trump im Weißen Haus gibt es für die Palästinenser wenig Hoffnung auf Hilfe aus den USA.“
Hamas instrumentalisiert das Volk
Trumps Entscheidung für den Botschaftsumzug hat mit der Gewalteskalation nichts zu tun, findet hingegen der Deutschlandfunk:
„Der aktuelle Konflikt an der Grenze zwischen Israel und Gaza begann am sogenannten 'Tag des Landes' der Palästinenser, dem 30. März. Sie protestierten für ihr Recht auf eine Rückkehr in die Heimat. Deshalb, nicht wegen Trumps Jerusalem-Entscheidung, ruft die Hamas ihr Volk seither dazu auf, blind gegen den Zaun anzurennen. ... Sie nutzt die Verzweiflung und Perspektivlosigkeit ihres Volkes für eigene Propagandazwecke. ... Auf der anderen Seite muss sich die israelische Armee fragen, ob die Härte ihres Vorgehens zu rechtfertigen ist. ... Donald Trumps Politik der Stärke ändert an der Konfrontation im Nahostkonflikt nichts. Entscheidend ist, dass sich sowohl die Hamas als auch die israelische Regierung jetzt mäßigen und die Kämpfe beenden. Sonst wäre ein weiterer überflüssiger Gaza-Krieg unausweichlich.“
Denkbar schlechtester Zeitpunkt
Der Umzug der US-Botschaft war zumindest nicht besonders glücklich terminiert, urteilt Dennik N:
„Es ist gerade die schwierigste Zeit, einen Kompromiss im Nahen Osten zu finden. Die vermeintlich friedfertige palästinensische Führung ist in der Krise, spürt den Atem der radikalen Hamas in ihrem Nacken. Das ist soweit nicht neu. Derzeit wird aber zudem Israel von einer Mannschaft angeführt, die autoritäre Züge trägt, die sich nicht allzu sehr um einen Kompromiss bemüht und die von Trump in ihrer militanten Haltung noch angestachelt wird. Damit steht der ganze Nahe Osten vor der Explosion.“
Bisher wurde nur ein Schild ausgetauscht
Eine Intifada wäre jetzt die dümmste Antwort, die die Palästinenser geben könnten, erklärt Die Presse:
„Für die Palästinenser hat Amerika endgültig die Glaubwürdigkeit als Mittler verspielt. Es wäre jedoch ebenso fatal wie sinnlos, wenn die palästinensische Führung deshalb die Wutschleusen für eine dritte Intifada öffnete. Vielleicht könnten die Beteiligten kurz innehalten und die Aufregung relativieren. Trumps Umzugsauftrag gehört sicher nicht zu den weitsichtigsten Entscheidungen der Weltgeschichte. Doch letztlich spielt sich alles nur auf symbolischer Ebene ab. Die USA haben in Jerusalem bisher lediglich ein Schild vor ihrem Konsulat ausgetauscht. Das rechtfertigt keine Gewalt.“
Religiöse Herrscher werden Jerusalem retten
Jerusalem wird eines Tages wieder friedlich sein, wie unter der Herrschaft der Kalifen und Osmanen, hofft die islamisch-konservative Yeni Şafak:
„Jerusalem wurde in der Geschichte dutzende Male von Eroberern zerstört, verbrannt und geplündert. Doch jedes Mal folgte darauf ein Herrscher, der an die einende Kraft Gottes glaubte. Es kamen der [Kalif] Omar und die [Sultane] Saladin, Selim I. und Süleyman I.. ... In Jerusalem wurde eine Ordnung errichtet, es kamen Wohlstand und Einheit für die Bevölkerung. ... So war es immer und so wird es wieder sein. ... Denn Jerusalem ist der Name der Stadt, in der das Osmanische Reich 400 Jahre Frieden und Ruhe brachte! ... Auch wenn wir eines Tages von dieser Welt gehen, so wird unsere Nachkommenschaft einst wieder einen Omar hervorbringen!“