75 Jahre Nato: Worauf kommt es in Zukunft an?
Am 4. April 1949 wurde mit der feierlichen Unterzeichnung des Nordatlantikvertrags in Washington die Nato gegründet. Aus damals zwölf Mitgliedstaaten sind heute 32 geworden. Europas Presse beleuchtet zum 75. Geburtstag, welche Herausforderungen das Bündnis meistern muss.
Viele Baustellen
Zum Geburtstag wird die Nato mit ihren Schwächen konfrontiert, meint De Standaard:
„Einheit in Verschiedenheit hat ihren Preis. Außerdem haben so ziemlich alle Mitgliedsstaaten das Krieg führen verlernt, die Industrien sind nicht angepasst. Die Finanzen bleiben ein Problem, bei der Verteidigung wurde zu viel gespart. Das zu drehen ist schwierig und geht nicht ohne bessere Zusammenarbeit, um die Investitionen optimal zu nutzen. Die Nato kennt auch neue geopolitische Herausforderungen: Der Nahe Osten wird zum Pulverfass, wobei das Verhalten des Verbündeten Israel fassungslos macht. Der afrikanische Kontinent verliert Stabilität mit einem immer größeren Einfluss russischer Söldner. ... Auch China bleibt ein Grund zur Sorge.“
Rote Linien als Schwächezeichen
Politologe Petro Oleschtschuk wünscht sich auf Facebook mehr Entschlossenheit aus Washington:
„Wir alle verstehen, dass die Nato im Grunde genommen die USA sind. Und mit den USA gibt es zurzeit sehr große Probleme. Sie betreffen nicht nur die mögliche Wiederwahl von Donald Trump. ... Die derzeitige Biden-Administration hat mit ihrem ständigen Streben nach 'Deeskalation' bereits die Gefahr einer Eskalation vor die Tür der Nato gebracht. ... Es ist offensichtlich, dass 'die roten Linien' des Bündnisses für die Russen einfach ein Zeichen von Schwäche sind. ... Vorerst dringen russische Raketen gelegentlich in den Luftraum der Nato ein, ebenso wie Schahed-Drohnen. Als Nächstes werden Sabotagetrupps kommen, und dann rollen vielleicht schon die Panzer. Doch das hat man bislang nur im Baltikum verstanden.“
Rückzug würde USA nichts bringen
Das Webportal Protagon veröffentlicht einen Text von Carla Norrlöf, Professorin für Politikwissenschaft an der Universität von Toronto und Senior Fellow beim Atlantic Council, der zuerst auf Project Syndicate erschien:
„Die Amerikaner müssen verstehen, dass die Nato nicht nur ein Mechanismus zum Schutz von Verbündeten ist. Sie ist ein wesentlicher Bestandteil einer Gesamtstrategie, die sowohl die amerikanischen Interessen fördert als auch die globale Führungsrolle ihres Landes aufrechterhält. Die USA würden nichts gewinnen, wenn sie sich aus dem transatlantischen Bündnis zurückziehen würden. Im Gegenteil, ihr Rückzug würde ihren Einfluss verringern, ohne ihre Militärausgaben wesentlich einzuschränken.“
Gemeinsame Werte sind der Schlüssel
Die Nato dürfe sich von Moskau nicht spalten lassen, sagte Generalsekretär Jens Stoltenberg zum Jubiläum. Laut RFI România will Russland aber noch mehr:
„Moskau will Garantien, dass die Ukraine niemals der Nato beitreten wird. Garantien, die das Militärbündnis niemals wird geben können. Aus einem einfachen Grund: Es würde damit seinen eigenen Vertrag verletzen. … Schon seit der Gründung des Nato-Bündnisses ist es (das erklärte) Ziel Moskaus, es zu zerstören. Vielleicht – so sagen einige Militärexperten – indem Moskau den berühmten Artikel 5 austestet. Werden wirklich alle Alliierten einem Land zu Hilfe eilen? ... Zumindest hat Donald Trump hier Zweifel gesät. Aber eines ist sicher: Die Nato wird so lange Bestand haben, wie die Mitglieder ihren Werten verpflichtet bleiben.“
Vetorecht ist ein Sicherheitsrisiko
Vor unnötigen Ränkespielen innerhalb des Bündnisses warnt IQ :
„Demokratie, Völkerrecht und Rechtsstaatlichkeit bilden den Kern des weltweit mächtigsten Bündnisses. Doch längst versuchen Länder, die diese Werte vergessen haben, ihre merkantilistischen Interessen bei wichtigen Entscheidungen der Nato durchzusetzen. Das zeigte sich am Beispiel der verzögerten Mitgliedschaft Schwedens, als die eigennützigen Motive der Türkei und Ungarns die gemeinsamen Sicherheitsinteressen des Bündnisses überschatteten. ... Das Vetorecht stellt eine der größten Herausforderungen in diesen wichtigen westlichen Organisationen dar. Das beste Beispiel sind die Vereinten Nationen, die aufgrund desselben Vetorechts völlig ineffektiv geworden sind.“
Peking als große Herausforderung
In Zukunft wird vor allem China zur Bedrohung werden, warnt die Tageszeitung Welt:
„Das Land rüstet immer mehr auf und zeigt sich immer selbstbewusster. China dürfte in 15 Jahren das große Thema für die Nato sein. Darauf muss sich die Allianz endlich vorbereiten: Ein paar Partnerschaftsdialoge mit pazifischen Anrainern und kleinere Militärübungen in der Pazifikregion reichen bei Weitem nicht aus. Berlin darf hier nicht länger als Bremser auftreten. Denn die chinesische Bedrohung geht auch die Europäer an: Wenn Peking in der Lage sein sollte, die Handelswege im Südchinesischen Meer zu blockieren, dann gerät der europäische Warenverkehr in Gefahr.“
Die Hilfe der USA ist kein Selbstläufer
Europa muss endlich mehr tun, um seinen wichtigsten Partner in der Nato zu halten, fordert The Daily Telegraph:
„Lord Ismay, der erste Generalsekretär der Nato, formulierte das Hauptziel der Nato mit der für ihn charakteristischen Deutlichkeit: Es sei darum gegangen, 'die Russen draußen, die Amerikaner drinnen und die Deutschen unten zu halten'. ... Die Bedrohung für die Zukunft der Nato kommt von innen, vor allem, wenn Donald Trump wiedergewählt werden sollte. Sein Unmut gegenüber dem Bündnis beruht darauf, dass Amerika viel mehr zu Europas Verteidigung beiträgt als der Kontinent selbst. ... Die Hilfe der USA darf nicht als Selbstverständlichkeit verstanden werden, deshalb Ismays Ziel, 'Amerika drin zu halten'. Um es zu erreichen, müssen die europäischen Nato-Mitglieder mitziehen und ihren Beitrag leisten.“
Dramatischer Personalmangel beim Militär
Europa braucht wieder mehr Soldaten, schreibt Večernji list:
„Vergünstigungen für die ganze Familie, um eine bessere Balance von Privat- und Arbeitsleben zu ermöglichen, mehr Geld, die Musterung von Frauen sowie eine allfällige Wiedereinführung der Wehrpflicht sind einige Maßnahmen, die, so die Hoffnung, den Besorgnis erregenden Rückgang der Zahl aktiver Soldaten in den Streitkräften der Nato-Mitgliedsstaaten stoppen könnten. ... Im Lichte der neuen geopolitischen Situation und des Kriegs an der Grenze zu Europa, wird dieses Problem fast in allen Mitgliedsstaaten des Paktes aktuell. ... Die Nato-Staaten müssen ihre Kräfte parallel zu den äußeren auch auf die inneren Bedrohungen konzentrieren.“
Demokratische Resilienz stärken
Den Blick nicht nur auf die Streitkräfte zu richten fordert Anne Genetet, Abgeordnete von Macrons Partei Renaissance, in La Tribune:
„Die Verteidigung des euro-atlantischen Raums bedeutet nicht nur militärische Verteidigung, sondern heute mehr denn je auch die Verteidigung gemeinsamer Werte. ... Daher trete ich dafür ein, dass unser Land die Debatte über die Gründung eines Nato-Zentrums für demokratische Resilienz vorantreibt. … Diese Gründung wird seit 2019 diskutiert, doch der von Russland geführte hybride Krieg macht sie wichtig und dringend, also prioritär. Auf diese Weise würde Frankreich seinen Einfluss innerhalb der Nato stärken, die mehr als je zuvor unser Schutzschild gegenüber den Feinden der Freiheit sein muss.“