Estland: Alles Online

Die Medienlandschaft in Estland hat sich stark in Richtung multimedialer Online-Angebote entwickelt. Die Frage ist nicht mehr ob, sondern wann die Printangebote eingestellt werden. Der Angriffskrieg Russlands auf das gesamte Territorium der Ukraine führte zur Ausweitung der russischsprachigen Inhalte in estnischen Medien – auch dank Subventionen.

Russischsprachige Medien aus dem Inland wie der öffentlich-rechtliche Sender etv+ haben seit Russlands Großangriff auf die Ukraine an Bedeutung gewonnen. (© picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
Russischsprachige Medien aus dem Inland wie der öffentlich-rechtliche Sender etv+ haben seit Russlands Großangriff auf die Ukraine an Bedeutung gewonnen. (© picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
Die beiden großen Medienhäuser Postimees Grupp und Delfi Meedia (bis 2022 Ekspress Meedia), aber auch kleinere Anbieter setzen zunehmend auf Online-Abos. Der Trend geht weg vom Verkauf einzelner Inhalte hin zur monatlichen Flatrate, die den Nutzern Zugriff auf das vielfältige Gesamtpaket des jeweiligen Konzerns ermöglicht.
Delfi Meedia mit dem Portal Delfi als Flaggschiff liefert auf diese Weise eine breite Palette von Inhalten an mehr als 100.000 zahlende Online-Nutzer. Das sind mehr als die Abonnenten aller Printausgaben der Gruppe zusammen und fast zehn Prozent der erwachsenen Bevölkerung. Neben Text-und-Bild-Beiträgen werden auch Videos und Podcasts angeboten. Delfi ist sowohl auf Estnisch als auch auf Russisch erhältlich, wobei die russische Version die meisten Inhalte noch kostenlos anbietet (täglich rund 60 Artikel frei zugänglich, acht bis zehn kostenpflichtig). In den ersten neun Monaten 2023 machten Einnahmen aus digitalen Angeboten 83 Prozent des Umsatzes von Delfi Meedia aus – ein Anstieg von 24 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Insgesamt steigerte die Gruppe ihren Gewinn um 18 Prozent.

Bei der konkurrierenden Postimees Grupp läuft es wirtschaftlich weniger gut. Für 2022 meldete sie einen Verlust von 4 Millionen Euro, obwohl auch ihre Einnahmen aus digitalen Angeboten mit einem Jahresplus von 17 Prozent deutlich gestiegen waren. Der Haupteigentümer der Gruppe, der einflussreiche Geschäftsmann Margus Linnamäe, glich den Verlust aus. Linnamäes Geschäftsinteressen lassen sich an Themenauswahl und Kommentaren von Postimees gelegentlich erkennen. Postimees ist ein Paradebeispiel für die starke Medienkonzentration in Estland: Die Gruppe hat mittlerweile nicht nur die meisten Regionalzeitungen übernommen – der populärste TV-Kanal gehört ebenso zur Gruppe wie die Nachrichtenagentur BNS, mehrere Radiosender, die beiden großen Kinoketten und der größte Buchverlag des Landes samt Läden.

Die drittgrößte Tageszeitung Õhtuleht erscheint seit Ende 2022 nur noch von Dienstag bis Samstag und hat frühzeitig auf Online-Abonnenten gesetzt. Mittlerweile erreicht die Anzahl der Online-Abos fast die der Printausgabe. Trotz erheblicher Investitionen konnte das Unternehmen 2022 leichte Gewinne verbuchen.

Die zuvor täglich erscheinende Wirtschaftszeitung Äripäev hat ihre Printausgabe im Dezember 2022 ganz eingestellt und bietet ihre Online-Inhalte nur zahlenden Abonnenten an. Die Preise dafür liegen je nach Angebotsumfang bei 32 bis 49 Euro im Monat. Das Geschäftsmodell scheint zu funktionieren: Äripäev erzielte damit bereits im ersten Jahr Gewinne.

Die Online-Portale des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ERR bereiten den Privatmedien Kopfschmerzen. Aus ihrer Sicht verzerrt der aus Steuergeldern finanzierte und für Nutzer kostenfreie Dienst den Wettbewerb. ERR ist die größte Medienorganisation im Baltikum. Erst 2022 hatte der Verband der Medieneigentümer eine Senkung der Mehrwertsteuer für Publikationen von 9 auf 5 Prozent ausgehandelt. Doch der Haushalt für 2024 sieht wieder einen Anstieg auf 9 Prozent vor.

Einfluss des Krieges in der Ukraine
Kurz nach Ausbruch der großangelegten russischen Invasion in die Ukraine im Februar 2022 verbot Estland die Übertragung der russischen Propagandakanäle, die bis dahin in jedem Kabelgrundpaket beinhaltet waren: Rund 30 Prozent der Menschen in Estland sind russische Muttersprachler, insgesamt spricht rund zwei Drittel der Bevölkerung Russisch. Die Überlegung, dass die Mediennutzer in Estland freien Zugang zu allen Informationen haben sollen, um sich somit frei ihre Meinung bilden zu können, hatte sich angesichts der seit 2014 zunehmend aggressiven Propaganda als trügerisch erwiesen. Seitdem müssen Zuschauer einen Zusatzaufwand in Kauf nehmen, um diese Kanäle beispielsweise bei YouTube abzurufen. Um das Angebot an russischsprachigen Inhalten aus Estland auszuweiten, wurden im März 2022 öffentliche Mittel in Höhe von 1,3 Millionen Euro an private Medienhäuser vergeben. Postimees führte seine 2016 eingestellte russische Ausgabe als Wochenzeitung wieder ein, andere weiteten ihre Angebote aus. Um neue Nutzer anzulocken, sind diese weitgehend kostenfrei – eine Bedingung für die Zuschüsse, für die der Staat 2023 eine weitere Million Euro bereitstellte. Daneben wurden auch die russischsprachigen Kanäle – Online, Radio und TV – des öffentlich-rechtlichen Rundfunks weiter ausgebaut.


Rangliste der Pressefreiheit:
Platz 8 (2023)

Stand: Januar 2024
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