Österreich: Politik und Medien unter einer Decke

Die "Inseratenaffäre", die zum Rücktritt von Ex-Bundeskanzler Kurz führte, hat Österreichs Medienlandschaft nachhaltig erschüttert. Sie steht aber auch sinnbildlich für eine teilweise problematische Nähe von Medien und Politik.

Zeitungsstand in Wien. (© picture alliance / HELMUT FOHRINGER / APA / picturedesk.com)
Zeitungsstand in Wien. (© picture alliance / HELMUT FOHRINGER / APA / picturedesk.com)
DatumDer Verdacht: Das von der konservativen ÖVP geführte Finanzministerium soll in den Jahren 2016 bis 2020 durch großzügige Anzeigenplatzierungen eine wohlwollende Berichterstattung in den Medien erkauft haben, vor allem zugunsten des damaligen Bundeskanzlers Sebastian Kurz.

Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) stützt sich in erster Linie auf sichergestellte Chats und Aussagen des ehemaligen Generalsekretärs im Finanzministerium, Thomas Schmid. Dieser legte 2022 ein umfassendes Geständnis ab. Alle anderen Verdächtigen, allen voran Ex-Kanzler Kurz, weisen alle Vorwürfe zurück.

Fakt ist, dass das Finanzministerium sein Anzeigenbudget im fraglichen Zeitraum erheblich ausgeweitet hat. Während es im Jahr 2015 noch rund 135.000 Euro für Anzeigen ausgegeben hatte, waren es 2016 bereits 1,8 Millionen Euro – das Dreizehnfache. Und das war erst der Anfang: 2018 schraubte das Ministerium sein Anzeigenbudget auf 7,2 Millionen, 2020 sogar auf 8,9 Millionen Euro hoch.

Laut Staatsanwaltschaft sah die Vorgehensweise wie folgt aus: Die Zeitungen veröffentlichten Meinungsumfragen, die zugunsten von Sebastian Kurz und seiner ÖVP frisiert waren. Im Gegenzug schaltete das Finanzministerium Inserate in diesen Medien, vor allem in den auflagenstarken Boulevard-Zeitungen Österreich und Heute, aber auch in einigen Qualitätsblättern, darunter Die Presse.

Nachdem sich die Verdachtsmomente immer mehr verdichtet hatten, sah sich Kurz im Oktober 2021 gezwungen, als Bundeskanzler zurückzutreten und der Politik den Rücken zu kehren. Die Ermittlungen gegen ihn und andere sind (Stand Februar 2024) noch nicht abgeschlossen.

Die Politik als treuer Anzeigenkunde

Wie die Inseratenaffäre eindrücklich vor Augen führt, hat der Boulevard in Österreich einen großen Einfluss auf die Politik. Die Sozialdemokraten (SPÖ), die jahrzehntelang an der Macht waren, waren die ersten, die dem Boulevard mit staatlichen Zeitungsanzeigen unter die Arme griffen. Das Gratisblatt Heute wurde sogar im Dunstkreis der SPÖ gegründet. Der Verkauf von Anzeigen an Parteien oder Ministerien ist für viele österreichische Medienunternehmen zu einem zentralen wirtschaftlichen Standbein geworden.

Eine weitere Besonderheit der österreichischen Medienlandschaft ist die Dominanz großer und eng miteinander verflochtener Verlagshäuser, zu deren wichtigsten Eigentümern die Raiffeisen Bank, die Familien Dichand (Kronen Zeitung, Heute) und Fellner (Österreich) sowie Privatstiftungen im Umfeld der katholischen Kirche zählen.

Unabhängigen Medien bleibt nur die Nische

Dieses wirtschaftlich potente Umfeld macht es unabhängigen Medien schwer, sich in der österreichischen Medienlandschaft zu etablieren. Produkte wie das Monatsmagazin Datum oder die Investigativjournalismus-Plattform Dossier können trotz ihrer hohen Qualität nur Randpositionen besetzen. Die Qualitätssparte dominieren die Tageszeitungen Der Standard (linksliberal) und Die Presse (liberal-konservativ) sowie die Wochenzeitung Falter und das Nachrichtenmagazin profil. Keines dieser Medien verfügt aber über den Einfluss des Boulevards.

Online arbeiten die meisten Qualitätsmedien inzwischen mit einer Mischung aus kostenlosen und kostenpflichtigen Inhalten. Der Standard, der als Vorreiter im österreichischen Onlinejournalismus gilt und im Qualitätssegment die meisten Visits verzeichnet, hat als einzige Qualitätszeitung keine Paywall.

Öffentlich-rechtlicher Rundfunk: Kritik hält trotz Reform an

In den vergangenen Jahren sind in Österreich auch jene Stimmen immer lauter geworden, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ORF offen in Frage stellen. Kritik am ORF wird vor allem von der rechten Seite des politischen Spektrums geäußert, insbesondere von der rechtspopulistischen FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs) und ihr nahestehenden Medien wie dem News-Portal eXXpress. Sie kritisieren, dass der ORF seinem Auftrag der Überparteilichkeit und Ausgewogenheit nicht nachkomme und in seiner politischen Berichterstattung tendenziös linksliberalen Meinungen und Haltungen Vorschub leiste. Eine zum 1. Januar 2024 in Kraft getretene Reform der Regierungskoalition von ÖVP und Grünen beförderte diese Kritik eher noch: Zwar wurden Sonderprivilegien für ORF-Angestellte abgeschafft, außerdem darf der Textanteil im (kostenlosen) Online-Angebot nur noch 30 Prozent betragen und nicht „vertiefend“ sein – so soll eine unfaire Benachteiligung privater Medien minimiert werden. Stein des Anstoßes ist jedoch die Umstellung von einer gerätebezogenen Gebühr auf einen von allen Haushalten zu bezahlenden Pauschalbeitrag – auch wenn dieser mit monatlich 15,30 statt der bisherigen 22,45 Euro um rund ein Drittel niedriger ausfällt. Nach einer Sammelklage gegen die “Zwangsgebühr“ werden die Gerichte über die Rechtmäßigkeit des ORF-Beitrags entscheiden müssen.


Rangliste der Pressefreiheit (Reporter ohne Grenzen):
Platz 29 (2023)

Stand: Februar 2024
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