In der Flüchtlingskrise ist die Hemmschwelle für rassistische Äußerungen im Internet dramatisch gesunken, beobachten Kommentatoren in Europa besorgt. Doch wie kann man dem Hass begegnen?
Erst kommt der Hass, dann die Gewalt
Das Internet in seiner Rolle als Brandbeschleuniger für Gewalt gerät damit zu Beginn der Flüchtlingskrise sofort in den Fokus der öffentlichen Debatte in Europa. Rassistische und menschenverachtende Kommentare nehmen zu, beobachten auch Journalisten anderer Länder. "Einige Internetforen sind ein wahrer Hort des Rassismus geworden. Bisher haben sich die Vertreter solcher Ansichten meist hinter Pseudonymen versteckt. Jetzt benutzen sie sogar ihre eigenen Namen. Sie scheuen sich nicht, die Flüchtlinge als 'Untermenschen' zu bezeichnen und unverblümt Nazi-Verbrecher zu glorifizieren", schreibt das polnische Nachrichtenmagazin Newsweek Polska im Juli. Zu diesem Zeitpunkt diskutieren die Polen gerade über die Zusage ihrer Regierung über die Aufnahme von 2.000 Flüchtlingen. Und im September beobachtet die Tageszeitung Gazeta Wyborcza besorgt: "Es gibt Leute, die im Netz ohne Hemmungen unter ihrem eigenen Namen schreiben, dass man für die muslimischen Flüchtlinge wieder die Krematorien in Auschwitz in Betrieb nehmen sollte. Damit kündigen sie mögliche Verbrechen an, die von einem Mob begangen werden, der Menschen verachtet."
Online-Hetze führt zu Gewalt gegen Flüchtlinge
Auch im eher einwanderungsfreundlichen Schweden bricht sich der Hass gegen die Neuankömmlinge im Internet mehr und mehr Bahn. Kein Wunder, dass sich Fremdenfeinde ermutigt fühlen, meint die Zeitung Dagens Nyheter: "Im Schweden des Jahres 2016 Rechtsextremist zu sein, fühlt sich ruhig und sicher an. Das Gefühl der Kraft speist sich aus einer seit Jahren andauernden Erosion der Grenzen für Anstand. Menschen auf allen möglichen Ebenen haben dazu beigetragen: Politiker, Journalisten, einfache Bürger, die auf Facebook Hass auf alles versprühen." Im Januar veranstalteten Rechtsextremisten regelrechte Hetzjagden auf Flüchtlinge in Stockholm – für schwedische Kommentatoren eine direkte Folge der ungebremsten Hetze im Netz.
Wenn Hass im Internet zu echter Gewalt führt, muss er gestoppt werden – darüber sind sich die meisten Journalisten in Europa einig. Doch wie? Die Frage stellt sich auch die Tageszeitung Lapin Kansa nach Attacken von Demonstranten auf Geflüchtete und Helfer im südfinnischen Lahti im September: "Was soll man von jenen denken, die Asylbewerber mit Feuerwerksraketen beschießen und Steine auf Rot-Kreuz-Mitarbeiter werfen? Was soll man denen antworten, die die Foren im Internet mit ihren Hasskommentaren füllen? Finnland ist ein freies Land, in dem jeder seine Meinung äußern darf, solange er keine Gesetze bricht. Rassismus dagegen ist in keiner Form akzeptabel." In der estnischen Zeitung Postimees wird ein Polizist klarer und fordert vor allem juristische Antworten auf hetzerische Kommentare: "Hass gegen bestimmte Gruppen von Menschen hat militärische Konflikte und Genozide verursacht. Deshalb versucht man in Europa schon seit Jahrzehnten, Hassrede juristisch zu regeln. In Estland ist Hassanstiftung per Verfassung verboten."
Hasser verdienen nicht mehr als ein "Delete"
Anders sieht das die schwedische Kolumnistin Sakine Madon, die aufgrund ihrer türkischen Wurzeln regelmäßig im Netz angefeindet wird. „'Ich hoffe, Du und Deine Familie sterben, du eklige Kanakin.' So stand es in einer Mail, die ich kürzlich bekam. Während regelrechte Drohungen vergleichsweise selten kommen, sind Kommentare wie dieser häufig. Sollte die Mail zur Polizeiangelegenheit werden? Persönlich denke ich, die Polizei sollte ihre Energie lieber gegen ernsthaftere Drohungen und Verfolgungen verwenden. Die Netz-Hasser verdienen selten mehr Aufmerksamkeit als einen schnellen Klick auf 'Delete'.“
Anja Reschke ruft in ihrem Kommentar ebenfalls nicht zu mehr strafrechtlicher Verfolgung sondern zu mehr hörbarem Widerstand der friedfertigen Mehrheit der Bevölkerung auf. "Dagegen halten, Mund aufmachen", lautet ihr Rezept gegen jegliche Hetze – egal ob sie im Netz stattfindet oder am Abendbrottisch in der Familie.