In Estlands Kult-Theater fällt der Vorhang
Das Avantgardetheater NO99 hat überraschend bekanntgegeben, im Januar 2019 zu schließen, und damit die kulturelle Öffentlichkeit Estlands schockiert. Es würde dem eigenen künstlerischen Anspruch nicht mehr gerecht werden, begründete das Theater seine Entscheidung. Kommentatoren würdigen den ehrlichen Umgang der öffentlich finanzierten Einrichtung mit sich selbst.
In Würde gestorben
Das Theater NO99 war von vornherein zum Scheitern verurteilt, resümiert Postimees:
„Wenn man die Leistung des Theaters NO99 möglichst ehrlich und objektiv bewerten will, so ist zu sagen, dass sich die Theatermacher die Last selbst aufgebürdet haben, die sich nun als zu schwer erwiesen hat. Das Ideal des Theaters war ein Paradox: Es war ein staatliches Avantgardetheater, das in der mit Steuergeldern finanzierten Pflicht stand, krampfhaft modern zu sein. Doch NO99 konnte dieses unmögliche Ideal genauso wenig erfüllen wie die Geldgeber - Kulturministerium und Steuerzahler - dies erwarten konnten. Dem Theater ist es dennoch gelungen, das konservative Lebens- und Kunstempfinden zu erschüttern und zugleich Kritikern und dem Publikum zu gefallen.“
Eine ehrliche Entscheidung
Die Entscheidung des Theaters, aufzuhören, zeigt, dass es sich selbst treu bleibt, erklärt Eesti Päevaleht:
„Der Staat hat für das nächste Jahr ein Budget in Höhe von 1,1 Millionen Euro für das Theaters verplant und NO99 hätte ruhig weiter vor sich hin existieren können. Allerdings spielte das Theater selbst nicht mehr so viel ein. In dieser Situation hätte es sein Repertoire ändern und statt Experimenten und dem Austesten von Grenzen sichere Kassenschlager produzieren müssen. Doch das wäre ein Verrat des eigenen Credos gewesen. Der Kampf der Rechtspopulisten gegen NO99 hat das Ende kaum beeinflusst, die Wähler von [der estnischen konservativen Volkspartei] EKRE gehörten ohnehin nie zum Publikum von NO99. Wenn es einen äußeren Faktor gibt, dann ist es der Skandal um Ex-Direktor Ojasoo, der den Nimbus von NO99 in den Augen vieler Fans zerstört hat.“