Literatur-Nobelpreis für Louise Glück
Die 77-jährige Autorin und Englischprofessorin Louise Glück hat dieses Jahr den Nobelpreis für Literatur erhalten. Die Schwedische Akademie nannte als Begründung Glücks unverwechselbare poetische Stimme, die die individuelle Existenz zu einer universellen Erfahrung mache. Während einige Kommentatoren das genauso sehen, vermissen andere politische Relevanz im Werk der Preisträgerin.
Emotionen in maximaler Klarheit
Kommersant zeigt sich fasziniert vom ungewöhnlichen Gehalt der poetischen Texte der Preisträgerin:
„Dies sind Texte darüber, wie sich ein Mensch fühlt, der Schmerz, Verlust, Hass, Neid, Müdigkeit oder den Verlust einer Person empfindet oder der wütend oder glücklich ist. ... Wie die meisten großen Poeten der letzten zwei Jahrhunderte interessiert sich Glück für den Menschen in sich selbst - aber in dessen allergewöhnlichsten Erscheinungen. Das erfordert die Kraft maximaler Klarheit und Schlichtheit. ... Beschreiben Sie doch mal Ihren Verlust genauso, wie sie Blumen im eigenen Garten beschreiben würden - aber ebenso exakt, wie sie das Farbspiel sehen. Das scheint fast unmöglich? Nein, das ist es nicht: Glück zeigt, wie es geht.“
Altmodisch kluge Entscheidung
Lidové noviny freut sich über eine Wahl, bei der politische Erwägungen keine Rolle spielten:
„Der Nobelpreis für Literatur bleibt neben dem Friedensnobelpreis der meistdiskutierte. Eine Ehrung, die gescheiterte Favoriten kennt und erfolgreiche Außenseiter. Und die ein Spiegelbild gesellschaftlicher Forderungen und Entwicklungen ist. 2020 haben wir es mit einer fast schon verpflichtenden Sympathie für Black Lives Matter und überspanntem Antirassismus zu tun. Filme etwa werden nur noch ausgezeichnet, wenn den passenden Rassenmix vorweisen können. Man könnte denken, dass es auch mit dem Literatur-Nobelpreis 2020 in diese Richtung geht. Doch bisher ist das nicht der Fall, wie das Beispiel von Louise Glück zeigt. Die Schwedische Akademie blieb bei der altmodischen Meinung, dass Literatur Literatur bleiben soll. “
Eine vergangenheitsweisende Wahl
Die taz ist dagegen nicht wirklich zufrieden:
„Glück widmet sich bevorzugt traditionellen Lyrikthemen, 'Betrug, Sterblichkeit, Liebe und Verlust' ... . [D]as sind ja weiß Gott alles ernste, allgemein menschliche Probleme, auch wenn sie sich in Glücks Ausgestaltung sehr klar einer bestimmten Klasse zuordnen lassen, die nun mal in den USA weiß ist. Ach!, die wichtigen lyrischen Stimmen ihrer Generation in den USA, Judith Ortíz Cofer, Adrienne Rich oder Audre Lorde hatten das Politische des Privaten so viel dringlicher besungen. ... Weltweit kann Glück erst recht nur als eine von vielen sehr guten Lyrikerinnen gelten, die, fest verankert in einer von Europa ausgehenden Tradition, wie nur noch wenige die Klaviatur der griechischen Mythologie beherrscht. ... [S]icher ist: Die Akademie hat mit ihrer Wahl eine vergangenheitsweisende Entscheidung gefällt.“