Stimmt und funktioniert die Impfreihenfolge?
Die Verfügbarkeit der Impfstoffe stellt noch immer den engsten Flaschenhals im Kampf gegen die Pandemie dar. Entsprechend tobt der Streit um die Priorität beim Schützen bestimmter Bevölkerungsteile. Europas Presse führt darüber eine engagierte und facettenreiche Debatte.
Soziale Benachteiligung erhöht das Infektionsrisiko
In der Kölner Trabantensiedlung Chorweiler ist die Inzidenz zehnmal so hoch wie in anderen Vierteln. Nun schickt die Stadt Impfmobile dorthin. Die taz findet das richtig:
„[Es liegt] nahe, dass Menschen, die beengt wohnen müssen und auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind, die dazu als Packer, Fahrer oder Kassiererin mit viel Kundenkontakt arbeiten, schwerer von der Pandemie betroffen sind als jemand, der am Schreibtisch im Homeoffice verweilt. ... Deshalb ist es allerhöchste Zeit für ... die Bevorzugung dieser Menschen bei der Impfkampagne. ... Alles andere als eine groß angelegte Kampagne fürs Impfen, gerne auch bei kostenlosem Mittagessen, wäre unterlassene Hilfeleistung, die am Ende auch diejenigen trifft, die im Eigenheim sitzen.“
Eltern mit Kleinkindern können kaum Abstand halten
Auch Die Presse findet, besonders Ansteckungsgefährdete sollten bevorzugt geimpft werden, denkt dabei aber eher an junge Eltern:
„Die Ansteckungsgefahr unter den Kindern ist trotz Tests hoch, einfach weil man Kinder schwer zum konsequenten Maskentragen und Abstandhalten bringen kann. ... Zum Glück erkranken sie selbst wirklich nur selten schwer. Sie stecken jedoch leicht ihre Eltern an, und die können mit einigem Pech durchaus schwer erkranken. ... Anfang Juli ist die Schule schon wieder vorbei ... Bis dahin sollte man jungen Eltern dezidiert und schnell einen Vortritt beim Impfen einräumen. Schon weil das größte Risiko, dem sie speziell ausgesetzt sind – der Kontakt mit ihren Kindern –, sich im Gegensatz zu anderen Risiken ... nicht vermeiden lässt.“
Keine Ausnahmen für Urlaubsinseln
Statt Senioren und Risikogruppen den Vorrang zu geben, lässt die italienische Region Kampanien die Bevölkerung auf Touristeninseln komplett impfen, um Urlauber anzulocken. Corriere della Sera hält dies für einen gefährlichen Präzedenzfall:
„Warum sind auf [der vor Neapel liegenden Urlaubsinsel] Procida 92 Prozent der Bevölkerung geimpft, während nur 68 Prozent der Bevölkerung über 80 mit reduzierter Mobilität eine erste Impfdosis erhalten haben? ... Wenn [Kampaniens Ministerpräsident] De Luca eigene Regeln erlaubt, könnten sich andere anschließen, wie der Gouverneur von Sizilien, der eine Massenkampagne ankündigte, 'weil sie es auf Procida gemacht haben'. Das ist ein Impf-Föderalismus, den die Regierung unbedingt vermeiden muss.“
Ältere Menschen fallen durchs Netz
Polens System lässt die Senioren teilweise auf der Strecke, kritisiert Tygodnik Powszechny:
„Premier Morawiecki versichert, dass jeder, der will, bis Ende Juli geimpft werden kann. Das soll den Eindruck erwecken, dass die Impfkampagne gut läuft. Der Teufel steckt jedoch im Detail. ... Die Begeisterung der 30- und 40-Jährigen für das effiziente Registrierungssystem hat auch seine Schattenseite: die technologisch ausgeschlossenen ältesten Senioren. Und hier ist nicht allein die Rede von jenen, die sich nicht alleine online registrieren können. Einige von ihnen haben nicht einmal Zugang zu einem Telefon. In Polen sind bislang nur 56 Prozent der Menschen über 80 geimpft.“