Vereinigtes Königreich: Vertrauensverlust in Medien und Politik

Die Medienberichterstattung der vergangenen Jahre war im Vereinigten Königreich von der Corona-Pandemie, den Partys in Downing Street zu Zeiten von Ausgangssperren und den folgenden Regierungswechseln dominiert. Der “Partygate”-Skandal schadete nicht nur dem Vertrauen in die Politik. Die mitunter atemlose und polarisierte Berichterstattung entfremdete viele Mediennutzer.

Der Eingang zum BBC-Hauptgebäude in London. (© picture alliance / empics / Ian West)
Der Eingang zum BBC-Hauptgebäude in London. (© picture alliance / empics / Ian West)
Laut einer Umfrage des Reuters Institute for the Study of Journalism im Jahr 2022 gaben 46 Prozent der Befragten an, mittlerweile Nachrichten “manchmal oder oft” zu meiden – fast doppelt so viele Menschen wie noch 2016. Als Gründe für die Nachrichtenmüdigkeit gaben die Befragten an, dass es “zu viele Nachrichten über Politik und Covid-19” gebe.

Auch die stark polarisierten Debatten rund um den Brexit und dessen Folgen haben das Vertrauen in die Medien geschädigt. Demnach sank es seit dem Referendum 2016 um weitere 16 Prozent. Weiterhin EU-feindlich äußert sich der traditionell rechtskonservative, auflagenstarke britische Boulevard – allen voran The Sun, gefolgt von Daily Mail und Daily Express.

Der Brexit veränderte auch das Verhältnis zwischen Medien und Politik. Vor der Unterhauswahl im Dezember 2019 boykottierten der EU-kritische konservative Premier Boris Johnson und sein Team TV- und Radiostationen, deren Berichterstattung sie nicht goutierten. Nach dem Wahlsieg der Tories wurde der Druck weiter erhöht: Zu Pressekonferenzen der Regierung wurden zunächst nur ausgesuchte Journalisten vorgelassen.

Die BBC im Visier der Tories
Besonders der dominierende Sender des Landes, die öffentlich-rechtliche BBC, steht unter Reform- und Sparzwang. Die konservative Regierung fror die verpflichtende Rundfunkgebühr im Januar 2022 ein und erhöhte so den finanziellen Druck auf den BBC-Haushalt.

Zudem ließ die Regierung offen, ob sie bei der 2027 anstehenden Verlängerung des BBC-Rundfunkvertrages die Fortsetzung der Finanzierung über Rundfunkgebühren stützen würde. In Reaktion darauf kündigte die BBC an, eine Reihe von Diensten zu schließen und Nachrichtenkanäle zusammenzulegen. Kritiker warfen den Tories vor, die BBC zu schwächen und mundtot machen zu wollen.

Immer mehr britische Tageszeitungen veröffentlichen keine Zahlen zu ihrer Druckauflage mehr. The Guardian begründete diesen Schritt damit, dass es ein negatives Narrativ konstruiert, wenn man sich auf eine Kennzahl wie die stetig sinkende Druckauflage festlegt, statt sich auf die wachsende Vielfalt journalistischer Modelle zu fokussieren.

Den Rückgang der Leserzahlen und Werbeeinnahmen im Printbereich kompensieren die britischen Tageszeitungen zunehmend durch die Ausweitung ihrer Geschäftsmodelle. Sie setzen dabei auf Anmeldungen, Paywalls, Abonnements oder, wie The Guardian, auf Spenden. Der linksliberale Independent erscheint seit März 2016 nur noch online. The Daily Telegraph hat mittlerweile mehr als 585.000 digitale Abonnenten. Die Financial Times erreicht sogar mehr als eine Million digitale Abonnenten, von denen mehr als die Hälfte außerhalb des Vereinigten Königreichs lebt.

Für Aufregung sorgen immer wieder die Praktiken des britischen Boulevards. Im Jahr 2010 wurde bekannt, dass Journalisten des Blatts News of the World jahrelang die Telefone von Prominenten, Politikern und Verbrechensopfern gehackt hatten. Die Vorgehensweise der britischen Presse wurde jüngst auch von Prinz Harry und seiner Frau Meghan, Herzogin von Sussex, wiederholt angeprangert. Hier laufen Gerichtsverfahren wegen Verleumdung, Verletzung der Privatsphäre und abgehörter Gespräche.

Whisteblower unter Druck
Im Jahr 2013 sorgte die Affäre um den NSA-Whistleblower Edward Snowden für Aufregung in der britischen Medienlandschaft. Der linksliberale The Guardian hatte die Überwachungspraktiken westlicher Geheimdienste mitaufgedeckt. Im Ausland wurde der Guardian dafür gefeiert. In Großbritannien warfen ihm die Regierung und die meisten Medien vor, Terroristen zu unterstützen. Im November 2016 beschloss das britische Unterhaus das umstrittene Gesetz "Investigatory Powers Bill", das unter anderem die Überwachung von Journalisten ohne deren Wissen ermöglichte. Das ist ein Grund, warum die Organisation Reporter ohne Grenzen Großbritannien als "eines der am schlechtesten bewerteten Länder auf der Rangliste der Pressefreiheit Westeuropas" führt. Ein weiterer Grund für das schlechte Ranking des Vereinigten Königreichs ist auf den Fall Julian Assange zurückzuführen. Die britische Regierung hatte im Juni 2022 die Auslieferung des WikiLeaks-Gründers an die USA genehmigt. Dessen Verteidigung legte aber Berufung gegen das Urteil des Obersten Gerichts ein, und schließlich wurde Assange im Rahmen eines Deals mit den USA aus der Haft entlassen und konnte zu seiner Familie nach Australien zurückkehren.

In Nordirland gilt die Sicherheit von Journalisten, die über paramilitärische Aktivitäten und organisierte Kriminalität berichten, als gefährdet. Sie beklagen oft eine unzureichende Handlungsbereitschaft der Polizei. Auch der Mord an der nordirischen Journalistin Lyra McKee im Jahr 2019 in Derry ist noch nicht restlos aufgeklärt. 2021 kam es zu weiteren Verhaftungen, ein Urteil steht aber noch aus.


Rangliste der Pressefreiheit (Reporter ohne Grenzen): Platz 26 (2023)

Stand: Juni 2024
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