Ungarn: Aushöhlung der Pressefreiheit

Viktor Orbán regiert in seiner vierten Amtszeit mit einer komfortablen Zweidrittelmehrheit. Der Druck auf ungarische Medien nimmt weiter zu. Die Wirtschaftskrise infolge des russischen Kriegs gegen die Ukraine stellt sie vor weitere Herausforderungen.

Eine Demonstration für Pressefreheit im Zentrum Budapests nach der Entlassung des Index-Chefredakteurs Szabolcs Dull.
Eine Demonstration für Pressefreheit im Zentrum Budapests nach der Entlassung des Index-Chefredakteurs Szabolcs Dull.
Inmitten der Corona-Pandemie, Ende Juli 2020, reichten rund 90 Prozent der Mitarbeiter von Index, dem größten Nachrichtenportal Ungarns, gleichzeitig ihre Kündigung ein. Die Entlassung ihres Chefredakteurs und die Sorge um die Unabhängigkeit der Redaktion hatte sie zu diesem Schritt in solch unsicheren Zeiten gedrängt.

Chefredakteur Szabolcs Dull war im Konflikt mit dem Management über Reformpläne, die auch die redaktionellen Arbeitsprozesse beeinflussen würden, gekündigt worden. Er hatte sich gegen Miklós Vaszily gestellt. Vaszily, ein regierungsnaher Medienunternehmer, hatte sich Anfang 2020 in die Firma CEMP Sales House eingekauft, die das ausschließliche Recht besitzt, die Werbeflächen von Index zu verkaufen. Dies war nur der letzte Streich in einem Prozess, in dem nach und nach die großen Zeitungen und Onlineportale auf Regierungslinie gebracht wurden.

Von Freund zu Feind … und wieder zu Freund

Schon einen Tag nach der Parlamentswahl 2018 hatte der einflussreiche Medienmagnat Lajos Simicska die Schließung der konservativen Traditionszeitung Magyar Nemzet verkünden lassen. Ein Ausdruck der Enttäuschung nach dem erneuten Wahlsieg Orbáns.

Erst 2015 hatten Magyar Nemzet und der ebenfalls zum Simicska-Konzern gehörende Nachrichtensender Hír TV ihrer regierungstreuen Linie abgeschworen. Der Grund: Simicska, der zuvor eine jahrzehntelange Freundschaft zu Orbán gepflegt hatte, lag im Clinch mit dem Premier. Doch jetzt ließ Simicska seinen Medienkonzern fallen. Magyar Nemzet wurde zunächst geschlossen, die Lizenz ging an regierungsnahe Eigentümer, die sie dann Anfang 2019 als regierungsnahe Zeitung neu starteten. Auch der Nachrichtensender HírTV ging an regierungsnahe Eigentümer, außerdem kam es zu Entlassungen.

Im November 2018 wurde der Großteil der regierungsnahen Medienfirmen unter dem Dach der neu gegründeten Medienstiftung Közép-Európai Sajtó-és Média Alapítvány (Mitteleuropäische Presse und Medienstiftung, kurz: KESMA) vereint. Im dreiköpfigen Kuratorium der Stiftung sitzt auch ein Parlamentsabgeordneter der Regierungspartei Fidesz, István Bajkai. Eine Reihe von regierungsnahen Eigentümern, die früher bereits Tages- und Wochenzeitungen, Radio- und Fernsehsender sowie Online-Medien aufgekauft hatten, haben ihre Portfolios der Stiftung entweder als Spende übergeben oder verkauft.

2016 war die größte überregionale Tageszeitung Ungarns, die linke Népszabadság, eingestellt worden. Die Redakteure fanden sich am Morgen vor verschlossenen Türen wieder, ihre E-Mail-Accounts wurden gesperrt. Der Eigentümer argumentierte, das Blatt habe zu hohe Verluste gemacht. Mitarbeiter und Beobachter sprachen hingegen von einem von Premier Orbán motivierten Putsch.

Bereits mit der Einführung eines Mediengesetzes 2011 hatte Orbán massive Kritik im In- und Ausland geerntet. Das Gesetz sah unter anderem eine stärkere Kontrolle der Medien vor. Die neu gegründete staatliche Medienaufsichtsbehörde wurde mit Orbán-treuen Gefolgsleuten besetzt.

Der ökonomische Druck wächst

Auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist ein Sprachrohr der Orbán-Regierung geworden. Da es in Ungarn keine Rundfunkgebühren gibt, sondern die öffentlich-rechtlichen Medien über Mittel aus dem Haushalt finanziert werden, sind sie von der jeweiligen Regierung abhängig. Und durch das Schalten von Anzeigen schafft die Regierung ungleiche Bedingungen auf dem verhältnismäßig kleinen Markt, indem sie diese fast ausschließlich an regierungsnahe Medien vergibt.

In den vergangenen Jahren entstanden zwar regierungskritische und investigative Onlineportale wie 444.hu, Direkt36, Átlátszó, Mérce oder Válaszonline, und sogar eine neue Wochenzeitung, Magyar Hang. Und auch die ehemaligen Index-Journalisten gründeten Telex, das zu einem der populärsten Nachrichtenportale Ungarns wurde. Die finanziellen Möglichkeiten dieser Medien sind aber begrenzt. Paywalls sind auf dem ungarischen Markt auch heute noch nur vereinzelt zu finden.

Die steigenden Energie- und Papierpreise stellen die unabhängigen Medien Ungarns seit 2022 vor weitere Herausforderungen, sie betreffen diesmal aber auch die regierungsnahe Medienlandschaft: Im Sommer 2022 wurden die Printausgaben mehrerer, im Großteil regierungsnaher Zeitungen - wie die Tageszeitung Magyar Hírlap oder das Wirtschaftsblatt Világgazdaság - eingestellt. Die ebenso regierungsnahe Wochenzeitung Figyelő wurde komplett eingestellt, so wie das Onlineportal Azonnali.hu, dessen Eigentümer der Politiker der Grünen, Péter Ungár war.

Wirklich mächtige, unabhängige Medien sind nach wie vor die Internetportale 24.hu, Telex.hu und Hvg.hu, außerdem der Fernsehsender RTL Ungarn.

Rangliste der Pressefreiheit (Reporter Ohne Grenzen): Platz 72 (2023)

Stand: Dezember 2022
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