Westbalkan: Der EU ferner denn je?
„Alle Staaten haben eine europäische Beitrittsperspektive.“ Dieses Versprechen gab Angela Merkel beim ersten Westbalkangipfel vor drei Jahren. Am Mittwoch ging der diesjährige Gipfel mit Albanien, Bosnien-Herzegowina, dem Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien zu Ende. Doch die versprochene EU-Perspektive sehen Kommentatoren in weiter Ferne.
Solange sie einander nicht töten...
Worin das Versagen der EU auf dem Westbalkan besteht, erläutert Jutarnji list:
„Die EU kann diese Region nicht in den Händen der unverantwortlichen, oft korrupten Politiker lassen und behaupten, dass alles in der Region in Ordnung sei, so lange 'sie sich nicht untereinander töten'. Weil 'sie sich nicht mehr untereinander töten' hat die EU zu lange die Demokratisierung dieser Staaten und Gesellschaften vernachlässigt. ... Wenn die Institutionen der EU weiterhin den Kampf gegen die Korruption und das organisierte Verbrechen verlangen, gleichzeitig jedoch die Politiker loben, die am meisten dafür verantwortlich sind und mit ihnen zusammenarbeiten, wird die Region nicht europäisiert. Ihr Kalkül und das Nachgeben zu Gunsten vorübergehender und scheinbarer politischer Stabilität werden sich rächen.“
Niemand wagt etwas Neues
Jedes Jahr werden auf diesem Gipfeltreffen die gleichen Ideen präsentiert, moniert Der Standard:
„Dabei haben die bisherigen Strategien die Region nicht wesentlich näher an die EU herangeführt. Denn in den Staaten fehlt es an effizienten Verwaltungsstrukturen, um das EU-Geld überhaupt sinnvoll einsetzen zu können. Für einen echten Wandel müsste man besser analysieren, mehr Geld in die Hand nehmen und Neues wagen. Der Berlin-Prozess, der von der deutschen Kanzlerin Angela Merkel 2014 initiiert wurde, hat bisher aber auch deshalb wenig gebracht, weil die EU-Staaten die Erweiterung seit Jahren nicht mehr ernsthaft betreiben. Hoffnung wird auf den neuen französischen Präsidenten Emmanuel Macron projiziert – berechtigt oder nicht.“
Wandel in die falsche Richtung
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung kann nicht erkennen, dass die Länder in den letzten Jahren wesentliche Fortschritte gemacht hätten - im Gegenteil:
„Wenn man auf dem Balkan heute überhaupt noch von einem politischen Wandel sprechen kann, dann geht er nicht in Richtung Demokratie und Rechtsstaat, sondern hin zu Autoritarismus und Nepotismus. Vor dem Hintergrund wirtschaftlicher und sozialer Stagnation bedienen sich korrupte politische Eliten immer offener einer nationalistischen Rhetorik. Es ist höchste Zeit, dass sich die EU dieser Region auch jenseits von Veranstaltungen wie des – wichtigen – Westbalkan-Gipfels wieder annimmt. Sonst besteht die Gefahr, dass sie sich bald viel mehr damit befassen muss, als ihr lieb sein kann.“
Moskau auf dem Vormarsch
Dass Moskau seinen Einfluss ausdehnt, macht den baldigen EU-Beitritt der Balkanländer noch illusorischer, klagt Il Sole 24 Ore:
„Die Balkanländer wirken immer noch wie die Waisenkinder des Kontinents. Und während das europäische Projekt, das sich durch immer geringere Solidarität auszeichnet, seine Anziehungskraft verloren zu haben scheint, dehnt Russland in Ländern wie Serbien seinen Einfluss aus – hier wie im gesamten Nahen Osten. Moskau hat nach der Annexion der Krim seine Bemühungen erneuert, die Staaten der Region an sich zu binden. Vor eben diesem Hintergrund ist die Aufnahme Montenegros in die Nato zu sehen. Als Mitglied ist der Staat vollkommen irrelevant. Sein Beitritt dient einzig und allein dazu, Russland auf die Füße zu treten.“
Den Balkan zur Priorität machen
Der Gipfel ist ein wichtiger Versuch, die Attraktivität der EU für die Balkanländer zu erhalten, erläutert Delo:
„Russland hat wegen geplanter Energie- und Infrastrukturprojekte derzeit noch kein Interesse an einer Destabilisierung der Region. Die Türkei hat genügend Probleme zu Hause und in der Nachbarschaft. Und China folgt lediglich eigenen wirtschaftlichen und strategischen Interessen. Dennoch wird die EU die Herausforderungen durch diese großen Spieler nur meistern, wenn sie den Balkan zur geopolitischen Priorität macht. Aus dieser Sicht ist der Berliner Prozess der bedeutendste regionale Mechanismus zur Regelung der Beitrittsprozesse auf dem Balkan. Den voneinander abhängenden Ländern der Region kann er eine Hilfe sein, doch ihre Hausaufgaben müssen sie selbst erledigen.“