EU-27 und London besiegeln Scheidung
Die Staats- und Regierungschefs der EU haben den mit Großbritannien ausgehandelten Austrittsvertrag abgesegnet. Es fehlt nun noch die Zustimmung vom britischen und Europäischen Parlament. Die in Brüssel versammelten Politiker zeigten sich am Sonntag zwar traurig, aber auch erleichtert, dass nach zähem Hin und Her eine Einigung erreicht wurde. Zu Recht?
Nichts ist geklärt
Auch nach der Absegnung des Austrittabkommens seitens der EU bleibt die Ungewissheit, meint Večer:
„So wie für die vergangenen Abkommen gilt auch für dieses Abkommen, dass es auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner basiert und somit mehr oder weniger alle Details noch offen sind. Die Ungewissheit, was nach dem Brexit kommt, ist für die Bürger und Unternehmen in den 27 EU-Staaten und im Vereinigten Königreich heute keineswegs geringer, als sie es vor der gestrigen Absegnung war. Der kleinste gemeinsame Nenner erlaubt es den Staats- und Regierungschefs der EU, das Abkommen nach ihrer eigenen Fasson zu deuten und den aktuellen politischen Interessen anzupassen. Ebenso, wie auf einem Basar gehandelt wird.“
Der Anfang vom Ende?
Düstere Aussichten bescheinigt der EU Beda Romano, Brüssel-Korrespondent von Il Sole 24 Ore:
„Es sei keine Zeit des Glücks oder der Feier, sondern ein trauriger Moment, eine Tragödie, sagte Präsident Juncker auf der Pressekonferenz. Dahinter verbirgt sich die schreckliche Sorge, dass der Austritt des Vereinigten Königreichs den Beginn des Endes der Union markiert. ... Sollte dies der Fall sein, sieht die Zukunft des Kontinents düster aus. Er würde Gefahr laufen, von der Rückkehr der Konflikte heimgesucht zu werden, die Europa im Laufe der Jahrhunderte historisch geprägt haben. Deshalb erklärte der französische Präsident Emmanuel Macron, dass der Brexit die Union dazu bringen müsse, sich 'neu zu orientieren'.“
Einsicht kommt zu spät
In London wird nach diesem Wochenende noch längst keine Ruhe einkehren, glaubt Hospodářské noviny:
„Auch nach dem Brexit können die Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU freundschaftlich bleiben, aber besser werden sie nicht. Darauf sind mittlerweile auch die Anhänger eines harten Brexit gekommen, die den Vertrag mit der Begründung ablehnen, dass mit ihm die Situation für die Briten schlimmer würde, als wenn sie in der EU blieben. Wenn ein Erstklässler begreift, dass zwei und zwei vier sind, kann er alle verzaubern. Wenn er darauf erst beim Abitur kommt, enttäuscht er. ... Nun ist es an den Abgeordneten des Unterhauses, abzustimmen und die Verantwortung für die Folgen zu übernehmen. Keine der beiden Varianten wird Ruhe bringen.“
Eiserne Konsequenz half der EU
Für die EU hat der Brexit auch positive Seiten, erklärt Die Presse:
„Das verdeutlichen auch die Ergebnisse der jüngsten Eurobarometer-Umfrage vom September. Die Zustimmung zur EU erreichte mit 62 Prozent den höchsten Wert seit dem Jahr 1992. ... Selbst besonders EU-kritisch eingestellte Bürger, so scheint es, wollen im eigenen Land nicht dasselbe Chaos erleben, welches das Vereinigte Königreich seit nunmehr zweieinhalb Jahren durchrüttelt. Vorbei sind auch die Zeiten, als populistische Parteien mit dem EU-Austritt warben. ... [B]eim Brexit demonstrierte die EU zuletzt eiserne Konsequenz und ungewohnten Zusammenhalt. Nicht ein einziges Mal wurden die Gespräche zum nunmehr verhandelten Austrittsvertrag von Zwischenrufen aus den Hauptstädten gestört – die spanische Vetodrohung wegen Gibraltar ausgenommen. Das machte es den Briten nicht leichter, stärkte aber das Ansehen der EU.“
Alles andere als der versprochene Aufbruch
Obwohl die sonst so halbherzige EU gegenüber Großbritannien und Italien endlich einmal entschlossen durchgegriffen hat, gibt es für die taz nichts zu feiern:
„Eher gibt es Grund zu trauern: Über die Scheidung von Großbritannien, die nun besiegelt wird. Über den Verlust Italiens, das die innere Kündigung vollzogen hat und auf Konfrontationskurs geht. Und über das völlige Versagen bei einer Aufgabe, die einmal als 'Aufbruch für Europa' bezeichnet wurde. Was ist denn aus diesem Aufbruch geworden, den Kanzlerin Angela Merkel versprochen hat? Wo sind die neuen Horizonte, die Emmanuel Macron so leidenschaftlich beschwor? Sie sind nicht mehr zu erkennen. Sechs Monate vor der Europawahl geht es nur noch darum, das Schlimmste zu verhindern.“