Ist der Kirchenstreit in Jekaterinburg beigelegt?
Im Streit um den Bau einer Kathedrale im russischen Jekaterinburg deutet sich eine Lösung an. Nach anhaltenden Protesten soll ein anderer Ort für die Kirche gefunden werden. Laut einer Erhebung des staatlichen Umfrageinstituts VZIOM halten rund drei Viertel der Einwohner von Jekaterinburg den Park im Zentrum der Stadt als Ort für die Kathedrale ungeeignet. Auch der Kreml hatte sich eingemischt.
Hartnäckiger Protest lohnt sich eben doch
Der populäre Blogger Ilja Warlamow gratuliert auf seiner Webseite varlamov.ru den Jekaterinburgern zum Sieg:
„Sie haben ganz Russland ein Beispiel gegeben, wie man seine Stadt schützen und seine Rechte verteidigen kann. ... Eine wichtige Rolle bei den Protesten spielten nicht zuletzt die Moskauer Propagandisten, die den Jekaterinburgern erklärten, sie seien Minderjährige vom Maidan, die das Boot nach der Pfeife Washingtons zum Kentern bringen. ... Die Proteste galten weniger der Kirche, sondern sollten darauf hinweisen, dass die Meinung der Menschen zu berücksichtigen ist. Weil die Menschen kein Vieh sind, deren Meinung man wie Klopapier behandeln darf. Ich denke, nun ist klarer, warum man politisch aktiv sein muss und warum Protest die absolut richtige Form des Dialogs mit dem Staat ist.“
Warum der Staat nachgibt
Radio Kommersant FM glaubt, der Kreml wollte verhindern, dass sich der Konflikt politisiert:
„Bislang galt folgende Formel: Der Staat hat immer Recht. Er denkt ans Volk, tut ihm allerlei Gutes, in diesem Fall baut er Kirchen. Und wer dagegen ist, ist ein angereister Provokateur und US-Agent. Mit denen macht man dann nicht viel Federlesen. ... Doch jetzt musste das Problem operativ gelöst werden, um eine Ausweitung des Konflikts und allerlei in der Zentrale unerwünschte Gespräche über Referenden zu vermeiden, ebenso wie eine Konfrontation zwischen sogenannten Patrioten und sogenannten Liberalen. Anders gesagt: Der Konflikt sollte nicht auf die politische Ebene getragen werden.“
Bürger agieren, weil Politiker sie nicht hören
Gazeta.ru analysiert, dass dieser und ähnliche Konflikte eine Rückkehr des Politischen in das Alltagsleben der Russen offenbaren:
„Politik kann sich auf viele Arten zeigen. Zu Politik wird der Bau einer Fabrik, der den Bürgern aus Umweltgesichtspunkten fragwürdig erscheint (wie im Gebiet Woronesch). Oder die Einrichtung einer Müllkippe, die man elegant 'Ökotechnopark' nennt (wie im Gebiet Archangelsk). Anlass zu Massenprotesten kann der Bau einer Kirche, Moschee oder Wäscherei für Obdachlose sein. Das ist jedes Mal Politik, selbst wenn die meisten Teilnehmer der Aktionen sagen, dass sie keine 'Politisierung' wollen und es ihnen nur um diesen einen konkreten Punkt geht. Doch dies geschieht weitgehend aus fehlendem Vertrauen in die Politiker, sowohl die etablierten wie auch die oppositionellen.“
Gierige Kirche erntet Hass des Volkes
Die Russisch-Orthodoxe Kirche will den Bau wieder errichten, da sie neue Gotteshäuser brauche, um die von den Bolschewisten zerstörten zu ersetzen. Doch die Bürger fallen auf dieses Argument nicht herein, freut sich der St. Petersburger Oppositionspolitiker Boris Wischniewski in Echo Moskwy:
„Der Kampf von Bürgern gegen die Gier der Kirchenleute, die danach streben, sich das 'zurückgeben' zu lassen, was ihnen nie gehörte, und dabei staatliche Museen auszusiedeln und sich für Kirchenbauten die besten Grundstücke zu sichern, gegen den Willen der Gesellschaft und in der unverfrorenen Überzeugung, alle seien ihnen etwas schuldig - das ist kein Kampf gegen die Orthodoxie. Dies hat mit Glaube und Religion nichts zu tun. Es geht nur um die Gier der Kirchenleute.“