Moskau startet "souveränes Internet"
Ein neues Gesetz über ein "souveränes Internet", das zum 1. November in Kraft getreten ist, soll Russland besser vor Cyberangriffen schützen. Alle Netzprovider des Landes sollen verpflichtet werden, nur noch russische Domains zu nutzen und den Behörden direkten Zugriff auf ihre Systeme zu geben. Das soll ein schnelleres Blockieren heikler Inhalte ermöglichen. Wird die Netzzensur auf eine neue Stufe gehoben?
Rückschritt durch Technik
Dass es Putin nur vordergründig um Datensouveränität geht, glaubt die Berliner Zeitung:
„Niemand sollte ... klagen über den Versuch diverser Weltregionen, sich technisch unabhängig zu machen von den bislang alles dominierenden IT-Strukturen in den USA. … Ins Negative aber schlägt alles um, wenn nun autoritäre Herrscher wie Putin nach Datensouveränität rufen - in Wahrheit aber zwei weitere, ganz andere Ziele haben: die totale Kontrolle ihrer eigenen Untertanen und die Möglichkeit, unerkannte geheime Attacken auf andere Mächte zu starten. Beides setzt robuste eigene IT-Strukturen voraus. … Putin, der digitale Mauerbauer, denkt in mittelalterlichen Mustern. … Er wünscht sich sein Russland als Trutzburg: massiv ummantelt, aber ausgestattet mit versteckten Türen, durch die Angreifer sich aufmachen können zu Attacken in den Machtzonen der anderen.“
Abschied vom letzten Refugium der Freiheit?
Nowaja Gaseta hofft angesichts der zu erwartenden Eingriffe auf die Selbstbehauptungskräfte des Netzes:
„Klar ist, das russische Internet wird in seiner bisherigen Form aufhören zu existieren. Aus einem Territorium zumindest relativer Freiheit verwandelt es sich endgültig in ein Schlachtfeld zwischen Staatsinteressen und gesundem Menschenverstand - wobei die auf ihrer Konzeption des 'souveränen Ru-net' bestehende Staatsmacht nun bedeutend mehr Einflusshebel hat. ... Niemand weiß, welche Effekte eine plötzliche Blockierung haben wird. Der Staat hat in den letzten Jahren schon oft versucht, das Netz zu kontrollieren oder teilweise zu blockieren. Man kann nur darauf hoffen, dass es auch diesem erneuten Ansturm menschlicher Dummheit und Gier widersteht. “
Dilettanten können das Netz nicht abschalten
Die Träume der russischen Regierung von einem Internet unter staatlicher Kontrolle werden wohl an technischen Schwierigkeiten scheitern, meint Journalist Iwan Jakowyna in Nowoje Wremja:
„Man will den russischen Teil des Netzes vom Rest der Welt isolieren und nicht genehme Internet-Portale aus dem Spiel nehmen. All das soll bis 2021 umgesetzt sein, rechtzeitig zu den Parlamentswahlen. ... Um zu verhindern, dass die Opposition sich koordiniert, wird das Internet abgeschaltet. Doch es gibt ein Problem: Für die russische Regierung arbeiten Programmierer und Ingenieure, die im privaten Sektor keine normale Arbeit finden konnten. Und die schaffen es nicht einmal, den Messenger-Dienst Telegram abzuschalten. Daher bin ich mir fast sicher, dass sie auch das Internet nicht besiegen können.“