Lira im freien Fall: Sorge um türkische Wirtschaft
Unter Druck war die türkische Lira schon vor der Corona-Krise. Seit dem Ausbruch der Pandemie in der Türkei verlor sie 20 Prozent ihres Wertes und erreichte vergangene Woche im Verhältnis zum Dollar ein Rekordtief. Präsident Erdoğan macht ausländische Finanzunternehmen dafür verantwortlich. Die regierungsnahe Presse folgt dieser Argumentation, oppositionelle Stimmen sehen die Dinge ganz anders.
Die Türkei wird zurückschlagen
Die Widerstandsfähigkeit der Türkei beschwört Daily Sabah:
„Nachdem sie den Notfall im öffentlichen Gesundheitswesen ziemlich erfolgreich gemanagt hat, könnte die Türkei einen Wirtschaftsboom erleben. … Die entscheidenden Vorteile des Landes sind politische Stabilität und eine starke Führung, darauf aufbauend kann es schnell und dynamisch handeln. Jedoch ist bereits der Versuch am Laufen, der Türkei den Weg zu versperren. Der spekulative Angriff vergangene Woche durch Finanzinstitute aus London beweist dies. Diejenigen, die Ankara davon abhalten wollen, von seinen Vorteilen zu profitieren, werden jetzt nicht lockerlassen. ... Die Türkei hat genug Erfahrung, um gegen derartige Operationen zurückzuschlagen.“
Schluss mit der Märchenstunde
Die Regierung will sich noch immer nicht den Tatsachen stellen, schimpft hingegen die Wirtschaftswissenschaftlerin und ehemalige Sprecherin der Oppositionspartei CHP Selin Sayek Böke in Birgün:
„Wirtschaftspolitik hat nichts zu tun mit der Kunst des Märchenerzählens. Wirtschaftspolitik ist die Kunst, die Bedürfnisse der Bevölkerung zu erfüllen, indem öffentliche Ressourcen sinnvoll eingesetzt werden. Und um eben das zu schaffen, muss jemand an der Macht sein, der nicht Geschichten über die Wirtschaft erzählt und Lügen verkauft, sondern die Realität anerkennt und mit einem ganzheitlichen Wirtschaftsprogramm verbessert. Doch es ist unmöglich, dass diese Regierung sich dahingehend entwickelt.“
Keinen Trumpf mehr in der Hand
Für Erdoğan wird es ungemütlich, erklärt Phileleftheros:
„Der Zusammenbruch der Lira und der Tourismusindustrie - der Lokomotive der türkischen Wirtschaft - lässt Erdoğan nur wenig Spielraum. Und der einzige, der sofort auf eine Anfrage von Ankara reagieren kann, ist der Internationale Währungsfonds, da verbündete Länder wie Katar wegen der Ölkrise nicht helfen können. … Die Wirtschaft war schon immer der Trumpf des türkischen Präsidenten. ... Jetzt wird die Stärke zur Schwäche. Erdoğan ist nicht mehr so stark und wird in seiner eigenen Partei offen in Frage gestellt. Gleichzeitig wird er, da er alle Macht in seinen Händen konzentriert hat, auch für die Krise verantwortlich gemacht. Die Unzufriedenheit wächst.“