Warum stürzt die Türkische Lira ab?
Für den türkischen Präsidenten Erdoğan ist die Sache klar: Donald Trump und die USA sind für den Verfall der Lira verantwortlich. In der Tat wurden die dramatischen Kursstürze seit Ende vergangener Woche durch den Streit über die Inhaftierung des Pastors Brunson und US-Strafzölle ausgelöst. Doch dies ist keineswegs der einzige Grund für die Währungskrise, erklären Kommentatoren.
Erdoğan hat es verbockt
Helsingin Sanomat sieht Erdoğan als den Hauptverantwortlichen für die derzeitige Lira-Krise:
„Die Art, wie die Türkei mit der Krise umgeht, ist ein Paradebeispiel dafür, wie Krisen nicht gelöst werden sollten: zu spät und sich der eigenen Verantwortung entziehend. Gleichzeitig macht die Krise deutlich, wie problematisch ein System ist, in dem die Macht in einer Hand konzentriert ist. Wenn man alle Macht an sich rafft, trägt man auch die gesamte Verantwortung für das Scheitern. Wie in autokratischen Systemen üblich, trauen sich die Regierung und die für die Geldpolitik Zuständigen nicht, dem Herrscher zu widersprechen und auf eine funktionierende Medizin zu setzen: Ehrlichkeit, Selbstkritik und das Ergreifen korrigierender Maßnahmen.“
Regierung gießt Öl ins Feuer
Dass Erdoğan und die Regierung die Krise noch vergrößern, glaubt die regierungskritische Cumhuriyet:
„Objektiv betrachtet kommt die größte Bedrohung nationaler Interessen nicht von außen, sondern von innen, aus dem Zentrum des Erdoğanismus. ... Der Raufbold an der Spitze der USA und seine politischen und wirtschaftlichen Sanktionen sind nicht der einzige Faktor dafür, dass sich die Spirale der Fremdwährungsfinanzierung beschleunigt. Es steht eine große Krise bevor, die vor allem regional und national bestimmt ist und von Politik und Wirtschaft wechselseitig befördert wird. ... Die Entwicklungen nach den gestern früh angekündigten Maßnahmen haben gezeigt, dass diese Krise nun einen Punkt erreicht hat, an dem sie aus dem Ruder läuft und die Regierung mit ihrem Krisenmanagement nur noch Öl ins Feuer gießt.“
Inkompetenz schreckt Investoren ab
Erdoğan hat einen langjährigen Aufschwung in persönliche Macht umgemünzt, was für die Türkei fatal war, analysiert Wirtschaftsprofessor Konstantin Sonin in einem von newsru.com übernommenen Facebook-Post:
„Zehn Jahre Wachstum, Popularität, die schrittweise Abschaffung der Gewaltenteilung, Machtkonsolidierung, Stagnation, der Verlust von allem, was in einem Jahrzehnt erreicht worden ist. In diesem zweiten Stadium ist natürlich immer 'Amerika' schuld. Also irgendein äußerer Feind. ... Wobei weder Amerika noch sonst wer schuld daran ist, dass der türkische Präsident Steinzeitansichten zur Geldpolitik hat und seinen Schwiegersohn zum Verantwortlichen dafür gemacht hat. Investoren ist es völlig egal, welches Verhältnis Erdoğan zur USA und zum Dollar hat, sie interessiert ihr Gewinn. Und eine inkompetente Finanzpolitik ist für Investoren das Signal, zu gehen.“
US-Geldpolitik hat verheerende Folgen
Der Türkei wurde die expansive Geldpolitik zum Verhängnis, warnt der USA-Korrespondent von La Repubblica, Federico Rampini:
„Der Ursprung der extremen Verwundbarkeit Ankaras liegt in der Geldpolitik, mit der Amerika die Finanzkrise in den Jahren 2008 und 2009 überwand. Die quantitative Lockerung der Federal Reserve, die auf dem Kauf von Anleihen und anderen Mechanismen basierte, führte zu einer exzessiven Liquidität und erleichterte so die Kreditaufnahme in Dollar. Wie der Präzedenzfall der Asienkrise von 1997 lehrt, tritt in dem Moment, in dem die US-Zinsen wieder steigen und der Dollar wieder stärker wird, ein klassischer Mechanismus ein, der Panik auf den Finanzmärkten und Ansteckungseffekte auslöst: Viele Länder sind nicht mehr in der Lage, die in der US-Währung aufgenommenen Schulden zurückzuzahlen. Das ist es, was bereits heute in der Türkei geschieht.“