Impfen: Argumente für eine globale Fairness
Während die EU mit Astrazeneca um Zusagen und Liefermengen streitet, haben Staaten mit geringer Finanzkraft vor allem auf der Südhalbkugel noch weit größere Probleme, Impfstoffdosen in ausreichender Zahl zu bekommen. Wie kann mehr Impfgerechtigkeit erreicht werden?
Produktionsrechte statt Zwangspatente
Einem oft genannten möglichen Lösungsansatz erteilt Proto Thema eine Absage:
„Lassen wir uns nicht täuschen. In einer freien Wirtschaft kann niemand Pharmariesen zwingen, ihre Patente kostenlos zu erteilen. Ob es uns gefällt oder nicht, alle Beteiligten sind vom Profit motiviert. Das Einzige, was die Mächtigen tun können, ist, diesen Gewinn auf menschlicher Ebene zu erzielen und Wege zu finden, um gemeinsam dafür zu sorgen, dass mehr Impfstoff auch in einkommensschwache Länder geht. Wie bereits von verschiedenen Seiten vorgeschlagen, könnten Unternehmen den betroffenen Ländern für einen bestimmten Zeitraum Produktionsrechte gewähren, damit sie durch die Zeit der Engpässe hindurchkommen.“
Impulsives Horten bringt uns nicht weiter
Ohne einen weltweiten Zugang zum Impfstoff kann man Covid-19 nicht besiegen, analysiert Večernji list:
„Diese vollkommen darwinistische Zeit, in der allgemeine Gier herrscht, ist eine direkte Folge des Missverhältnisses von Angebot und Nachfrage, aber auch der Nutzung des Impfstoffs für politische Zwecke. ... Boris Johnsons politisches Überleben hängt von der Impfung ab und auch Ungarn kalkuliert innenpolitisch damit. Doch man sollte nicht gleich den Sieg ausrufen. Denn wenn nicht weltweit geimpft wird, werden manche Gegenden zu Petrischalen für Mutationen. ... Es ist illusorisch zu erwarten, ein globales Problem könnte in nationalen Grenzen gelöst werden. Solange Solidarität und Verstand nicht an die Stelle impulsiven Hortens treten, wird die Gefahr nicht vergehen.“
Autokraten keine Chance lassen
Der reiche Westen hat ein vitales Interesse daran, dass auch in den armen Ländern durchgeimpft wird, betont auch Dagens Nyheter:
„Je größer die Teile der Welt sind, in denen das Virus frei wüten darf, desto größer ist das Risiko neuer Mutationen. ... Und last but not least ist eine geopolitische Dimension zu berücksichtigen. Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahmen die USA die Verantwortung für den Wiederaufbau wichtiger Teile Westeuropas und Ostasiens. Damit schufen sie einen guten Willen gegenüber Washington und Vertrauen in Kapitalismus und Demokratie. Wenn die EU und die USA jetzt keine Verantwortung übernehmen, werden Peking und Moskau jede Lücke der Impfstoffdiplomatie nutzen, um Abhängigkeiten zu schaffen und das Image ihrer autoritären Systeme zu stärken.“
Patente aussetzen!
Marcus Bachmann von Ärzte ohne Grenzen fordert in Die Presse eine Abkehr von marktwirtschaftlichen Prinzipien:
„[E]s sind undurchsichtige Verträge mit der Pharmaindustrie sowie deren Patente, die dazu geführt haben, dass wir nun von einigen wenigen Unternehmen abhängig sind: Von Firmen, die ihre Entscheidungen nach marktwirtschaftlichen Prioritäten treffen – nicht jedoch nach medizinischen. ... Zur Bekämpfung des Coronavirus müssen die Rechte zum Schutz des geistigen Eigentums, zum Beispiel Patente, für Medikamente, Impfstoffe und Tests, zumindest bis zum Ende der Pandemie ausgesetzt werden. Zumal die Impfstoffe massiv mit Steuergeldern gefördert wurden. Würde das umgesetzt, könnte die Massenproduktion von Generika-Impfstoffen den immensen Bedarf, den wir haben, abdecken – nicht nur in Europa, sondern weltweit.“
Armen helfen, Image pflegen
London bietet sich gerade eine riesige Chance, freut sich The Daily Telegraph:
„Großbritannien sollte die Gelegenheit nutzen, der größte Produzent von Impfstoffen zu werden - und der größte Spender weltweit für diejenigen, die nicht so schnell oder effizient handeln können. Das wäre ein großzügiger und effektiver Einsatz von Steuergeld und böte enorme Vorteile. Unzählige Leben würden gerettet, die internationale Entwicklung gefördert und das Image Großbritanniens im Ausland gestärkt. Statt als Anhängsel Europas oder der USA würde das Land als innovative Macht gesehen, die im Interesse aller handelt. ... Vielleicht könnte es einen diplomatischen Zwist mit Brüssel entschärfen, einen Teil unserer Impfdosen Europa zu überlassen, aber andere brauchen sie dringender.“